Was kommt nach 2015?

Ein Kurzinterview mit Janina Hasse-Mohsine, Second Secretary Permanent Mission of Germany to the United Nations, zu den Ergebnissen des High Level Meetings on Disability and Development

Am 23. September 2013 fand das High Level Meeting on Disability and Development der UN-Generalversammlung statt. Ziel dieses Treffens war es, die Rechte von Menschen mit Behinderungen ins Zentrum der Debatte um die MDG-Nachfolgeziele zu rücken. Das Abschlussdokument verankert daher eine barrierefreie und inklusive Entwicklungszusammenarbeit.

Die Vereinten Nationen haben zum ersten Mal ein High Level Meeting (HLM) dem Thema Behinderung  und Entwicklung gewidmet. Ein historisches Ereignis? Warum?

Das HLMDD (High Level Meeting on Disability and Development) ein historisches Ereignis zu nennen wäre übertrieben. Die Tatsache, dass es jetzt zum ersten Mal ein hochrangiges Treffen im Rahmen der VN zu diesem Thema gab ist eher eine natürliche Konsequenz der Dynamik, die das Thema in den letzten Jahren als Ganzes gewonnen hat und die insbesondere durch die Behindertenrechtskonvention in Gang gesetzt wurde. Diese ist das eigentliche historische Ereignis, welches jetzt in die verschiedenen internationalen Prozesse einwirkt. Da die Behindertenrechtskonvention einen eigenen Artikel zur Internationalen Zusammenarbeit enthält ist es natürlich, dass man in der Internationalen Gemeinschaft nun gemeinsam konkretisiert was dies genau bedeutet. Hierfür sind solche Treffen sehr gut geeignet.

Das Motto des HLM lautete „The way forward: A disability-inclusive development agenda towards 2015 and beyond“. Zukunftsfähige Entwicklung soll inklusiv gestaltet werden. Was muss sich dafür ändern?

Das wichtigste Instrument für eine zukunftsfähige behinderteninklusive Entwicklung ist sicherlich weiterhin die Behindertenrechtskonvention. Die Themenfelder Bildung, Gesundheit, soziale Sicherung und Beschäftigung haben für eine systematische Inklusion in die Gesellschaft eine besondere Rolle und wurden als solche auch auf dem HLMDD bestätigt. Bisher gibt es aber kaum oder nur sehr unzureichende statistische Daten über die Situation von Menschen mit Behinderungen, was es erschwert sich gemeinsame internationale Ziele zu geben, welche die Inklusion von Menschen mit Behinderungen sinnvoll berücksichtigen. Das hochrangige Treffen der VN zum Thema Behinderung und Entwicklung hat jetzt einen Prozess vorgegeben, wie die Staatengemeinschaft dieses Thema weiter im Kontext einer Post-2015 Agenda diskutieren möchte. So wird der Generalsekretär (GS) aufgefordert in seinem periodischen Bericht zu „Behinderung und Entwicklung“ Empfehlungen für weitere Schritte zur Implementierung des Abschlussdokumentes im Kontext der Post-2015 Entwicklungsagenda auszusprechen und der Präsident der Generalversammlung wird aufgefordert in der kommenden Generalversammlung (ab September 2014) den Status und Fortschritt für die Realisierung der Entwicklungsziele für Menschen mit Behinderungen weiterzuverfolgen.

Maria Soledad Cisternas Reyes, Chair of the Committee on the Rights of Persons with Disabilities, addresses the General Assembly’s HLMDD. UN Photo/Paulo Filgueiras

Maria Soledad Cisternas Reyes, Chair of the Committee on the Rights of Persons with Disabilities, addresses the General Assembly’s HLMDD.
UN Photo/Paulo Filgueiras

Welche Rolle spielt Deutschland in diesem Prozess?

In der internationalen Diskussion ist Deutschland zunächst einmal nur eines von 193 Mitgliedsstaaten. Gleichwohl hat Deutschland mit Blick auf eine inklusive Entwicklungszusammenarbeit eine hervorstehende Rolle zusammen mit Ländern wie Australien, Finnland und Norwegen. Als erstes Land in Europa hat Deutschland einen eigenen Aktionsplan zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Entwicklungszusammenarbeit verabschiedet und bringt das Thema auch immer wieder in internationale Verhandlungen ein.

Das Interview führte Julia Biermann.

„Für eine faire Partnerschaft“ – der deutsche Beitrag zur UN-Friedenssicherung

von Gerrit Kurtz

(c) UN Photo/Jorge Aramburu

(c) UN Photo/Jorge Aramburu

Deutsche Außenpolitik, betonen Entscheidungsträger gern, sei „Friedenspolitik“– so auch Außenminister Westerwelle bei dem Festakt zur 40jährigen Mitgliedschaft Deutschlands in den Vereinten Nationen. In diesem Sinne setzte er sich auch vehement für eine Reform des UN-Sicherheitsrats und einen ständigen deutschen Sitz ein, zuletzt bei seiner jüngsten Rede während der UN Generaldebatte in New York. Der deutsche Beitrag zur UN-Friedenssicherung gilt dabei beständig als wichtige Rechtfertigung für diesen Anspruch.

Demgegenüber wurde Deutschland bei der Podiumsdiskussion zu diesem Thema bei der DGVN-Fachtagung ein eher schlechtes Zeugnis ausgestellt. Die Diskussion konzentrierte sich insbesondere auf das fundamentale Ungleichgewicht zwischen der Bereitstellung von Finanzmitteln und Personal durch Deutschland. Während Deutschland 7,14% zum aktuellen Haushalt für Friedenseinsätze beiträgt (ca. 538 Mio. US-Dollar, Platz 4), trägt es lediglich 0,26% zum Personal bei (251 Polizisten, Militärexperten und Soldaten, Platz 41). Während die aktuelle Arbeitsteilung zwischen Ländern des globalen Südens (Personal) und OECD-Ländern (Finanzmittel) in der Tat problematisch ist, verfehlte die Diskussion jedoch andere wichtige Aspekte von Prävention, Diplomatie und Analyse ausreichend anzusprechen, bei denen Deutschland leichter einen größeren Beitrag zur UN-Friedenssicherung leisten könnte.

Lernerfolg und weiterer Nachholbedarf bei den Vereinten Nationen

Dass manches Problem nicht angesprochen wurde, lag sicher nicht an dem Input-Referat von Thorsten Benner, Direktor des Global Public Policy Institutes in Berlin (wo ich auch arbeite, full disclosure), in dem er die aktuelle Situation und wichtige Herausforderungen in der UN-Friedenssicherung breit und präzise herausarbeitete. Benner strukturierte seinen Vortrag anhand von drei zentralen Thesen.

Erstens habe die UN wichtige Lehren seit dem Brahimi-Bericht vor dreizehn Jahren gezogen. Missionen werden langfristiger angesetzt, das Sekretariat sei besser und professioneller aufgestellt, Einsätze sind „robuster“ und haben häufiger den Schutz von Zivilisten im Fokus. Regionale Kooperationen spielen zunehmend eine größere Rolle, z.B. in Somalia oder Darfur.

Die höheren Anforderungen an Friedensmissionen führten jedoch zweitens zu einem erheblichen Nachholbedarf in einigen Bereichen. Mangelhaft ist die Bereitstellung von Transport- und Logistikkapazitäten, Fähigkeiten zur Aufklärung, auch durch Drohnen und Satellitenbilder. Das Personalwesen bietet häufig keine ausreichenden Karriereanreize für einzelne „Friedenssicherer“. Ein weiteres Problem machte Benner bei den Sondergesandten des Generalsekretärs aus, welche gleichzeitig diplomatisch erfahrene als auch politisch scharfsinnige Persönlichkeiten sein müssen, diesen Anspruch aber nicht immer einlösen könnten. Zuletzt seien der Bereich der Krisenprävention und das bereits angesprochene Ungleichgewicht der Truppensteller  nicht zufriedenstellend.

Letztlich könnten mehr Kapazitäten und bessere Technologien jedoch auch nicht die großen politischen Spannungen bei der Friedenssicherung lösen, so Benners dritte These. Beim Institutionenaufbau sei die internationale Gemeinschaft auf nationale Eliten angewiesen, die Vereinbarungen tatsächlich und glaubwürdig umsetzen können. Wie das Beispiel der DR Kongo zeigt, sind diese jedoch häufig selbst an massiven Menschenrechtsverletzungen beteiligt. Die lokalen Begründungen für Gewaltanwendungen im Bürgerkrieg, die oft im Zusammenhang mit Themen wie Landansprüchen, Ressourcenverteilung oder Mitspracherechten stehen, bilden häufig einen Kontrast zur Makroebene von Gewalt und nationalen Friedensbemühungen zwischen regionalen Regierungen und den von diesen unterstützten Rebellengruppen. Alle am Konflikt beteiligten Parteien müssen in eine mögliche Lösung eingebunden werden. Dazu bedürfe es ausreichender politischer Aufmerksamkeit, um im Zweifel Druck auf die Konfliktparteien auszuüben. Hier müsse die internationale Gemeinschaft aber auch offen mit dem eigenen Versagen in einzelnen Konflikten umgehen und die begangenen Fehler aufarbeiten.

Es lohnt sich, die UN-Friedenssicherung stärker zu unterstützen

Tobias Pietz von der Analyseabteilung des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) ging näher auf die Gründe für die niedrige Zahl von UN-Friedenssoldaten aus OECD-Ländern ein. Noch vor zwanzig Jahren hätten diese etwa zwei Drittel des Personals gestellt, während es jetzt weniger als 8% seien. Diese Entwicklung läge an drei wichtigen Entwicklungen: dem Trauma des Versagens in den Konflikten der 1990er Jahren (Somalia, Ruanda und Bosnien), gerade auch aus Sicht der Weltöffentlichkeit; den teuren und personalintensiven Interventionen im Irak und in Afghanistan sowie dem stärkeren Engagement für Missionen im Rahmen der europäischen Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (dies betrifft vor allem die Polizei).

Warum ist ein stärkerer europäischer oder deutscher Beitrag zu UN-Friedensmissionen dennoch wichtig? Die Aufgabenteilung zwischen Truppenstellern und Finanziers ist zunehmendem Druck ausgeliefert, wie auch Manfred Ertl, Militärberater im Auswärtigen Amt, anerkennen musste. Ertl sah die derzeitige Arbeitsteilung bereits auf einem guten Weg zu einer „fairen Partnerschaft“, da es ja schließlich auch auf die Qualität der bereitgestellten Truppen ankäme. Während seiner Zeit im UN-Sekretariat wäre es nie ein Problem gewesen, ein Infanteriebattalion zu bekommen, allerdings hätte er schon eine Mission wegen eines fehlenden Flugleitoffiziers schließen müssen. Es wurde aber in seinen Ausführungen auch die Doppeldeutigkeit solcher Einschätzungen deutlich. Während viele große Truppenstellerstaaten eben keinem größeren öffentlichen Druck ausgesetzt seien („mit der Pressefreiheit“ sei das ja auch nicht so weit her dort, so Ertl), verlange die „Fürsorgepflicht“ des (deutschen) Staates für seine Soldaten, dass annähernd die gleichen Standards wie im Heimatland gewährleistet würden. Zu Recht verwies Benner hier auf die ebenfalls existierende (zumindest moralische) Pflicht gegenüber den Soldaten aus anderen Truppenstellerstaaten und den Bevölkerungen in den Ländern der Friedensmissionen.

Aus meiner Sicht gibt es  aber noch gewichtigere Gründe für ein erhöhtes deutsches Engagement. Die Legitimität der gesamten UN-Friedenseinsätze kann langfristig erodieren, wenn sich der Eindruck bei den Staaten Südasiens und Sub-Sahara-Afrikas festsetzt, dass sich westliche Regierungen hinter ihren finanziellen Beiträgen verstecken, während die Söhne und Töchter anderer Länder für die von ihnen im Sicherheitsrat gesetzten Ziele bereit sind zu sterben. Umgekehrt kann der politische Wille, eigene Soldaten den Vereinten Nationen bereitzustellen, ein positives Signal auch an andere Staaten senden, diesem Schritt zu folgen. Demgegenüber verweisen deutsche Entscheidungsträger gern darauf, dass sie in ihrem Wahlkreis kaum vermitteln können, warum deutsches Personal im Sudan tätig sein sollte.

Multilateralismus braucht Führungsfähigkeit, auch in Deutschland

Wenn deutsche Außenpolitik sich jedoch wirklich um Multilateralismus und Friedenssicherung sorgen möchte, sollte sie politische Führungsfähigkeit beweisen. Es genügt nicht, nur darauf zu verweisen, welche Anfragen zur Bereitstellung von Truppen für Friedensmissionen vorliegen oder auch nicht. Sogar bei der Frage des Personals könnte Deutschland eine Vorreiterrolle einnehmen. Zu ersterem schlug Benner vor, Deutschland könnte sich bereit erklären, 10% des aus Afghanistan abrückenden Personals fortan für multilaterale Missionen zur Verfügung zu stellen – immerhin gut vierhundert Soldatinnen und Soldaten. Die Bundesregierung könnte bei den europäischen Partnern für ähnliche Schritte werben. Es müsse ja auch nicht gleich die Interventionsbrigade sein, die mit überaus robustem Mandat an vorderster Front im Kongo kämpft, – Stabsoffiziere in Kinshasa können unter Umständen auch schon helfen.

Letztlich geht es jedoch um weitaus mehr als um die fast schon leidige Frage des Personals: Die politischen Rahmenbedingungen müssen stimmen. Wenn die Bundesregierung sich dazu bereit erklärt, UN-Friedensmissionen zu unterstützen, sollte dies ein Gesamtpaket sein – einschließlich erhöhtem zivilen Personal für die Mission, aber auch für die deutsche Vertretung vor Ort. Die Analysefähigkeiten für zivile Krisenprävention und Frühwarnung bei Konflikten seien in deutschen Botschaften in Sub-Sahara-Afrika häufig stark unterentwickelt, wie Benner darlegte. Das Auswärtige Amt erlaube es noch nicht einmal seinen Diplomaten, freiwillig als zivile Kräfte an UN-Friedensmissionen teilzunehmen und dabei wichtige Felderfahrung zu sammeln. Dabei legt die Bundesregierung (gleich welcher Couleur) gern wert auf die zivile Ausrichtung ihrer Außenpolitik und verweist auf Aktionsprogramm, Ressortkreis und Beirat zivile Krisenprävention. Gerade anlässlich eines Jubiläums wie dem der Mitgliedschaft Deutschlands in den Vereinten Nationen ist es Zeit, diese Versprechen mit Glaubwürdigkeit zu füllen.

Menschenrechte als offene Ordnungsstruktur. Möglichkeiten und Grenzen einer Menschenrechtspolitik der Bundesrepublik.

von Hannah Birkenkötter

Können die Menschenrechte als Struktur für die internationale Ordnung dienen? Dies war letztlich die Hauptfrage des zweiten Panels. Wenn also im Folgenden vor allem schlaglichtartig einige Kernthesen der Redner (und das ist hier nicht als generisches Maskulinum eingesetzt – aber dazu in einem späteren Post mehr) aufgezeigt werden, statt alle Punkte im Detail zu rekapitulieren, dann geschieht das vor allem im Hinblick auf die eingangs gestellte Frage.

“Keine lingua franca, sondern Ordnung” – Heiner Bielefeldt zum universalen Anspruch der Menschenrechte

“Die Menschenrechte fungieren als lingua franca of global moral thought” – mit einem Zitat von Michael Ignatieff begann Heiner Bielefeldt, Hauptreferent des zweiten Panels und UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, seinen Vortrag über Menschenrechte. Dabei legte er vor allem auf eine These wert: Menschenrechte sind mehr als nur lingua franca, sie dürfen nicht auf ihre Semantik reduziert werden. Denn wenn nur Worte benutzt werden, statt tatsächlich tätig zu werden, so Bielefeldt, dann steht die Menschenrechtssemantik sogar einer Durchsetzung menschenrechtlicher Standards entgegen.

Als Illustrationen einer Menschenrechtssemantik nannte Bielefeldt die Resolution des Menschenrechtsrates zu traditionellen Werten (Resolution 21/3), die Russland in den Menschenrechtsrat eingebracht hatte. Die Resolution betont den Stellenwert traditioneller Werte wie Familie und Gemeinschaft, die einer Verwirklichung der Menschenrechte nicht entgegenstünden. Tatsächlich, so Bielefeldt, gehe es aber Staaten wie Russland oder China nicht darum, Freiheitsrechte zu schützen. Russland setze menschenrechtliches Vokabular ein, damit der Regierung nicht vorgeworfen werden könne, untätig zu sein: reine Menschenrechtssemantik also. Nach Bielefeldt liegt die Wurzel allen Übels in einer Abkoppelung der Freiheitsrechte von der Menschenwürde: Diese beiden Konzepte dürfen nicht diametral einander entgegengesetzt werden, sondern müssen ganzheitlich gedacht werden. Also gerade nicht ein Kampf des sogenannten “dignity-based approach” gegen den “freedom-based approach”.

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Dieser Ansatz ist nicht neu. Er wurde in aller Deutlichkeit erstmalig auf der Wiener Menschenrechtskonferenz 1993 ausformuliert, als die Mitgliedstaaten erklärten: “Alle Menschenrechte sind allgemeingültig, unteilbar, bedingen einander und bilden einen Sinnzusammenhang.” Diese Erkenntnis hatte epochale Bedeutung. Sie führte zum Einen zu einer Änderung des bis dahin vorherrschenden Ansatzes, der Abwehrrechte und Leistungsrechte als Gegensätze einander gegenüberstellte. Jetzt konnten Abwehr- und Leistungsrechte als Einheit gedacht werden, die sich gegenseitig verstärkten. Damit rückte der Fokus vor allem auf die Frage, welche Inhalte einzelner Menschenrechte justiziabel, also einklagbar, sein sollten. In diesem Bereich spielen vor allem die Ausschüsse der einzelnen Menschenrechtsverträge eine große Rolle, die zumindest teilweise auch Individualbeschwerden anhören. Dazu wurde zum Beispiel für Rechte aus dem Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 2008 ein Fakultativprotokoll verabschiedet, das Deutschland bis heute nicht unterzeichnet hat. Heiner Bielefeldt forderte hier die Bundesregierung dazu auf, dieses Protokoll zu ratifizieren und so den Weg für Individualbeschwerden auch deutschen Bürger_innen frei zu machen. Ebenso wies er auf die mangelnde Umsetzung des Zusatzprotokolls zur Antifolterkonvention hin; beides fordert auch der DGVN-Bundesvorstand.

Wenn die Menschenrechte unteilbar sind, dann sind sie – in den Worten Bielefeldts –  mehr als nur eine lingua franca: Die normative Hauptfunktion unteilbarer Menschenrechte ist ihre Eigenschaft als offene Ordnungsstruktur. Damit versprechen die internationalen Menschenrechte, der zunehmenden Ausdifferenzierung der internationalen Ordnung in einzelne und spezialisierte Regime entgegenzuwirken. Gleichzeitig birgt die Proliferation von menschenrechtlichen Normen wieder die Gefahr einer zunehmenden Fragmentierung. Da gilt umso mehr, wenn die Idee unteilbarer Menschenrechte nicht ernst genommen wird, sondern Freiheitsrechte und ein auf Würde fußender Ansatz gegeneinander ausgespielt werden. Was also tun angesichts der Fragmentierungsgefahr und der Gefahr, dass der universale Anspruch der Menschenrechte gleichzeitig droht, zu reiner Semantik zu verkommen?

Vorbehalte trotz Reformerrolle: Jochen von Bernstorff zum deutschen Engagement in den Menschenrechtsgremien der Vereinten Nationen

Um diese Frage zu beantworten, kann ein Blick in die Vergangenheit hilfreich sein. Jochen von Bernstorff, selbst einst Vertreter Deutschlands bei den Verhandlungen zur UN-Behindertenrechtskonvention und Mitglied der deutschen Delegation in der ehemaligen Menschenrechtskommission und dem Menschenrechtsrat, hob hervor, dass Deutschland 1993 der Idee der Unteilbarkeit der Menschenrechte durchaus skeptisch gegenüber stand. Dabei hatte sich die BRD bereits sehr früh für die Menschenrechtspolitik der UN eingesetzt. Am 28. September 1976 begann die bundesrepublikanische Menschenrechtspolitik mit einem “Paukenschlag”, als Hans Dietrich Genscher einen Weltgerichtshof für Menschenrechte vorschlug. Dabei sah sich die BRD durchaus auch Kritik ausgesetzt: Die DDR prangerte vor allem die fehlende Bestrafung ehemaliger SS-Funktionäre in Westdeutschland an und schalt die Bundesrepublik für ihre Verstrickungen mit dem diktatorischen Argentinien und dem Apartheidregime Südafrikas. Damit waren die Jahre der geteilten Mitgliedschaft Deutschlands vor allem geprägt durch ein “Ringen” um die Stellung als Musterknabe.

Warum also dann 1993 die Skepsis gegenüber der Idee der Unteilbarkeit? Ich vermute, dass vor allem bei Leistungsrechten trotz grundrechtsdogmatischer Durchbrüche auch auf der nationalen Ebene durchaus noch Skepsis herrschte, ob und in welchem Umfang Leistungsrechte – und dazu gehören die allermeisten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte – einklagbar sind. Denn traditionell werden Grundrechte vor allem als Abwehrrechte verstanden, also als Räume, die frei von staatlichen Eingriffen sind. Wird aber etwa ein „Recht auf Gesundheit“ ausgerufen, so ist nicht immer klar, welche konkrete Leistungspflicht hier den Staat trifft. Dass das institutionelle Gefüge der Vereinten Nationen hier nicht nur zur Ausgestaltung einzelner Rechte, sondern gar zu einem neuen Menschenrecht führen kann, erläuterte von Bernstorff an einem Beispiel: 2010 verabschiedete die Generalversammlung Resolution 64/292, in der explizit ein Recht auf Wasser und sanitäre Einrichtungen als Menschenrecht anerkannt wurde. Dem war aber ein langer Prozess vorausgegangen: Der Ausschuss zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten hatte bereits 2002 unter Mitwirkung auch deutscher Völkerrechtler wie Eibe Riedel und Bruno Simma den General Comment No. 15 verabschiedet, der aus den Artikeln 11 und 12 des Wirtschafts- und Sozialpaktes – den Rechten auf einen angemessenen Lebensstandard und auf Gesundheit – ein Recht auf sauberes Trinkwasser ableitete. Dieser General Comment wurde mehrfach in der Menschenrechtskommission und dem neuen Menschenrechtsrat diskutiert, und schließlich das Recht auf sauberes Trinkwasser und Sanitäreinrichtungen nach der Generalversammlung auch vom Menschenrechtsrat im Jahre 2011 anerkannt.

Wenn also Jochen von Bernstorff in dieser Hinsicht Deutschland ein positives Zeugnis bescheinigte und auch dessen positive Rolle beim Reformprozess des VN-Menschenrechtssystems hervorhob, bleibt die Frage: Reichen einzelne Beiträge, wie etwa zum Recht auf sauberes Trinkwasser, aus, um Fragmentierungstendenzen entgegenzuwirken? Bedarf es neuer Ansätze, wenn Menschenrechte auf immer größere Teile des VN-Systems Auswirkungen haben?

Menschenrechtsschutz durch den Sicherheitsrat: Dominik Steiger zur Sanktionspolitik und zum Individualrechtsschutz

Dass die Menschenrechte auch im Sicherheitsrat immer größere Bedeutung erfahren, zeichnete Dominik Steiger nach. Heute ist allgemein anerkannt, dass massive Menschenrechtsverletzungen – etwa im Rahmen eines internen Konflikts – eine Bedrohung für den internationalen Frieden darstellen und Handlungsoptionen des Sicherheitsrats nach Kapitel VII eröffnen. Der Sicherheitsrat hat in den letzten Jahren vermehrt sogenannte thematische Resolutionen erarbeitet, so etwa zum Thema Kinder und bewaffnete Konflikte. Dabei habe Deutschland eine entscheidende Rolle bei den Verhandlungen der Resolution 1539 (2004) gespielt, die als Wegbereiter für individuelle Maßnahmen gegen Gruppen, die Kindersoldat_innen einsetzen, gilt.

Dass menschenrechtliche Garantien nicht zuletzt auch die Vereinten Nationen selbst binden, zeigt die Diskussion um Rechtsschutzmöglichkeiten gegen individuelle Sanktionsregime. Mit Resolution 1267 (1999) verabschiedete der Sicherheitsrat ein Sanktionsregime, das unter anderem vorsah, Gelder von mutmaßlichen Unterstützer_innen der Taliban einzufrieren. Wer Gegenstand solcher Sanktionen war, wurde durch einen Ausschuss des Sicherheitsrats beschlossen. Das traf auch Yassin Abdullah Kadi und seine in Schweden ansässige Al-Barakaat-Stiftung. Da es Kadi nicht ermöglicht wurde, von der Liste gestrichen zu werden, oder jedenfalls in einem rechtsförmigen Verfahren nachprüfen zu lassen, ob er zu Recht auf die Liste gesetzt wurde, klagte vor dem Europäischen Gerichtshof und bekam Recht. Das schreckte natürlich den Sicherheitsrat auf, der seinerseits – unter tatkräftiger und aktiver Unterstützung Deutschlands – ein Ombudsverfahren einrichtete, welches aber aus menschenrechtlicher Sicht nach wie vor defizitär ist. Es zeigt sich aber an diesem Beispiel, dass menschenrechtliche Gesichtspunkte die Arbeitsweisen eines so gewichtigen Organs wie dem Sicherheitsrat auch nachhaltig verändern können. Allerdings haben in diesem Fall gerade nicht die Menschenrechtsgremien der Vereinten Nationen eingegriffen. Vielmehr war es der Standard der Europäischen Union, der zu einer ersten Verbesserung führte.

Menschenrechte als Ordnungsstruktur?

Sind Menschenrechte also als Ordnungsstruktur zu sehen, die vor allem normativ als ordnendes Element funktionieren? Wie sich momentan am Syrienkonflikt zeigt, ist der Zielkonflikt zwischen Menschenrechten einerseits und der Souveränität sowie der Friedenssicherung andererseits noch lange nicht ausgetragen. Einig waren sich alle Panellisten, dass sich die deutsche Politik zu häufig hinter EU-Politik versteckt, dass Deutschland durchaus deutlicher eine eigene Menschenrechtspolitik entwickeln könnte. Aber was kann das heißen?

Ein nach wie vor großes Defizit der Menschenrechte ist ihre mangelhafte Durchsetzbarkeit. Georg Nolte hatte am Vorabend gefordert, mehr Wert zu legen auf die Einhaltung völkerrechtlicher Normen durch rechtsförmige Institutionen. Bedeutet das also doch, Genschers Traum vom Menschenrechtsgericht wahr zu machen? Politisch erscheint dies gegenwärtig nicht durchsetzbar, denkbar wäre aber zumindest eine bessere Vernetzung der bestehenden Ausschüsse. Die Individualbeschwerdeverfahren der einzelnen Menschenrechtsverträge existieren bereits. Sie werden aber nur selten genutzt und – das forderte Heiner Bielefeldt in der Diskussion – müssen erst einmal ernst genommen werden. Hier legte aber gleich Andreas Zumach den Finger in die Wunde: Denn die Entscheidung des Antirassismus-Ausschusses wird gerade in Deutschland oftmals nicht ernst genommen. Im April diesen Jahres hatte der Ausschuss die Äußerungen Thilo Sarrazins in der Zeitschrift Lettre International für rassistisch erklärt und Deutschland außerdem wegen nicht ausreichender Sanktionierung dieser Äußerungen gerügt. Innerhalb der deutschen Rechtswissenschaft stieß die Rüge auf Kritik: Sarrazins Äußerungen seien von der Meinungsfreiheit gedeckt. Auch Heiner Bielefeldt schloss sich dieser Kritik an und sah jedenfalls keinen gesteigerten Bedarf nach einer Änderung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Hier zeigt sich: Offensichtlich gibt es selbst bei den Enthusiasten des internationalen Menschenrechtsschutzes Skepsis, wenn ein Ausschuss autoritativ über einen Einzelfall entscheidet. Ich denke aber, das gehört zu einer Verbesserung der Effizienz internationalen Menschenrechtsschutzes dazu: Das Entscheidungsgefüge muss auch dann anerkannt werden, wenn man mit der Entscheidung aus politischen Gründen nicht übereinstimmt, etwa weil man die Meinungsfreiheit höher gewichtet als den Schutz vor rassistischen Äußerungen. Denn sonst droht man sich leicht selbst dem Vorwurf einer reinen Menschenrechtssemantik ausgesetzt. Deshalb sollte Deutschland, wenn auch vielleicht zähneknirschend, die Entscheidung des Antirassismus-Ausschusses rasch umsetzen. Gleichzeitig kann es sich stark machen für eine stärkere Vernetzung der einzelnen Gremien. Das ist sicher erforderlich, um die normative Ordnungsfunktion der Menschenrechte auch institutionell abzusichern. Und könnte gerade ein spezifisch deutscher Beitrag zur VN-Menschenrechtspolitik sein.

Panel 2: Menschenrechte, 19.09.2013, 11h30

Referat: Heiner Bielefeldt

Discussants: Jochen von Bernstorff, Dominik Steiger

Moderation: Andreas Zumach

Kein Anlass zum Schulterklopfen – Eine Bestandsaufnahme zur deutschen UN-Politik im Bereich Umwelt, Entwicklung und Nachhaltigkeit

Von Steffen Stübig

Die Fachtagung „40 Jahre deutsche UN-Mitgliedschaft“ zog eine kritische Bilanz der deutschen UN-Politik in den Bereichen Umwelt, Entwicklung und Nachhaltigkeit. Im Folgenden werde ich die groben Diskussionslinien des Panels zusammenfassen und einen Blick über den Tellerrand hinaus wagen. Das Panel, das von Dagmar Dehmer (Tagesspiegel Berlin) moderiert wurde, war sich darin einig, dass der deutsche Beitrag bestenfalls suboptimal sei. Doch dürfe auch dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch der multilaterale Weg über die Vereinten Nationen Probleme mit sich bringen würde. Nicht weniger tückische Fallstricke aber birgt die Idee, zukünftig über alternativen Routen, die außerhalb der UN zusammengeführt werden sollen, zur einer nachhaltigen Entwicklungs- und Umweltpolitik gelangen.

Panel 1

Ein Grundproblem für die Politikfelder Entwicklung und Umwelt im System der Vereinten Nationen seien schlechte Ausgangsvoraussetzungen, deren Nachwirkungen bis heute relevant seien. Zunächst haben sich die Felder im System der Vereinten Nationen erst relativ spät institutionalisiert, so Steffen Bauer von der Abteilung Umweltpolitik und Ressourcenmanagement am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik. Der eigentliche Startschuss war die Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt und den Menschen von 1972. Schon damals stellte die indische Premierministerin Indira Gandhi fest: „The environmental problems of developing countries … reflect the inadequacy of development “. Aus der Beobachtung schwerwiegender Entwicklungsprobleme der aus der Dekolonisierung hervorgegangenen Staaten wurde also die Schlussfolgerung gezogen, dass internationale Umwelt- und Entwicklungspolitik eng miteinander verflochten sind.

Doch der Nexus zwischen Entwicklung und Umweltpolitik fiel den Interessen der jeweiligen politischen Lager im Ost-West-Konflikt zum Opfer. Bezeichnend für die Logik des Systemkonfliktes sei es beispielsweise, dass die Konferenz in Stockholm von dem sozialistischen Lager vollständig boykottiert wurde. Der Anlass des Boykotts war die Vertretung der Bundesrepublik mit Beobachterstatus, während demgegenüber eine Delegation aus der DDR nicht eingeladen war. Da der Kalte Krieg in anderen Arenen ausgefochten wurde, galt der Bereich als soft politics und fristete ein Schattendasein. Dies kann aus heutiger Sicht jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich seit den 1970er Jahren die Umwelt- und Entwicklungsproblematiken eher noch verschärft haben. Steffen Bauer beschrieb anhand einer Grafik, dem so genannten Doughnut, es würde immer schwieriger, einen gerechten Pfad zwischen Entwicklung und Umwelt einzuschlagen.

 

Defizite der deutschen UN-Politik

Dass die deutsche Politik auch nach dem Kalten Krieg und der Wiedervereinigung nicht genug unternehme, um diesen Weg zu begehen, gab dem Panel Anlass zu Kritik. Schon bei der Rekrutierung von Fachpersonal tue sich Deutschland schwer. Zwar gebe es einige wenige herausstechende Persönlichkeiten wie Klaus Töpfer oder Inge Kaul, die Deutschland prominent in den Vereinten Nationen vertreten (haben). Klaus Töpfer war unter anderem von 1998 bis 2006 Exekutivdirektor des UNEP. Inge Kaul prägte im UNDP  die Entwicklung des Human Development Reports und war später Direktorin für den Bereich Development Studies (1995-2005). Auch zeigte Heidemarie Wieczorek-Zeul eine deutsche Vorreiterrolle, beispielsweise bei der Utsteingruppe, einer multilateralen Initiative zur Reform der Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit. Unterm Strich müsste sich Deutschland aber stärker darum bemühen, auf allen Etagen fachlich versiertes Personal unterzubringen. Hierzu mangele es an verlässlichen und attraktiven Karrieremöglichkeiten. Das Engagement bei den Vereinten Nationen würde selbst bei der Rückkehr nach Deutschland nicht belohnt und sei dadurch eben kein attraktives Sprungbrett.

Drastische Widersprüche sahen die Teilnehmer_innen auch zwischen Selbstdarstellung und Handeln. Deutschland präsentiere sich gerne als verlässlicher Partner. Dabei verweise die Regierung auch gerne auf seine Rolle als Gastgeberland am UN-Standort Bonn – so auch Guido Westerwelle in seiner Empfangsrede. Doch ist dieses Bekenntnis auch in anderen Staaten üblich und sagt noch nichts über das tatsächliche Engagement aus. Viel würde daran scheitern, dass sich Deutschland seit Jahren einseitig auf die Reform des Sicherheitsrates konzentriere und darüber andere wichtige (und realistische) Ziele vernachlässige. Die Bewerbung um den prestigeträchtigen Green Climate Fund beispielsweise fiel Reibungsverlusten zwischen den Ministerien zum Opfer, so Uschi Eid. Um Zustimmung zur Reformagenda des Sicherheitsrates zu erhalten, habe das Auswärtige Amt die Bewerbung als Standort des GCF unterminiert. Uschi Eid, stellvertretende Vorsitzende des Beratungsausschuss des UN-Generalsekretärs zu Wasser und Sanitärer Grundversorgung, sah den konstruktiven deutschen Beitrag bisweilen sogar unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Auch Jürgen Meier, Geschäftsführer des Forums Umwelt und Entwicklung, bemängelt fatale institutionelle Schwächen. Deutsche Finanzierungszusagen, beispielsweise zur Umsetzung der Biodiversitätskonvention (CBD), seien substanzlos und würden nicht eingehalten. Uschi Eid und Jürgen Maier befürchteten daher, dass ein stringentes Eintreten für strategische Ziele an Eitelkeiten und der Konkurrenz zwischen den Ministerien scheitert.

Jürgen Maier hatte gar den Eindruck, das Wirtschafts- und das Umweltministerium agierten völlig unkoordiniert – zum Teil auch gegeneinander. So habe der selbsternannte Klimavorreiter Deutschland kein Problem damit, Hermesbürgschaften für Kohlekraftwerke im Ausland zu vergeben. Auch im Exekutivrat der Weltbank stimme Deutschland regelmäßig für Projekte, die kaum mit umweltpolitischen Zielen vereinbar seien. Wenn Deutschland in internationalen Verhandlungen als Bremser auftrete schiebe es den schiebe es die Schuld auf die EU. Jürgen Maier nennt als Beispiel die zögerliche Haltung der EU beim Abschluss des Nagoya-Protokolls zur CBD, die auf deutsche Interessen zurückzuführen sei.

Der Blick auf die finanziellen Beiträge offenbart, dass Deutschland auch hier seine Hausaufgaben bislang nicht gemacht hat. Silke Weinlich vom Centre for Global Cooperation Research legte dar, dass Deutschland zwar der drittgrößte Beitragszahler in den regulären VN-Haushalt ist. Allerdings finanzierten sich Entwicklungspolitik und Umweltpolitik vorrangig aus zusätzlichen und damit aus freiwilligen Mitteln. Hier liege Deutschland gerade einmal im unteren Drittel der Top 10 (siehe auch den UN Funding Report von 2013 und UN-Basis-Info der DGVN). Silke Weinlich sah daher Luft nach oben, um das Bekenntnis zu einer multilateralen Nachhaltigkeitsagenda mit Leben zu füllen. Problematisch ist beispielsweise, dass 50% der Deutschen Mittel an die Vereinten Nationen zweckgebunden vergeben werden und den Institutionen daher nicht zur freien Planung zur Verfügung stehen. Der Großteil der Gelder werde nicht mehrjährig vergeben, so dass weitere Planungsunsicherheit bei den Vereinten Nationen entstehe. Den deutschen Etat für Entwicklungshilfe müssen sich die Vereinten Nationen zudem mit bilateralen Projekten, der Weltbank und der Entwicklungshilfe der EU teilen. Gerade einmal ein Drittel des Gesamtvolumens ist für die Vereinten Nationen vorgesehen. Im Bereich der Umweltpolitik seien ähnliche Probleme zu beobachten. Angesichts dieser Zahlen sei das Bekenntnis zum Multilateralismus deutlich zu relativieren, der deutsche Beitrag müsse qualitativ und quantitativ ausgebaut werden.

Doch sollte nicht vergessen werden: Es ist September 2013, ganz kurz vor der Bundestagswahl. Es war klar, dass Uschi Eid, die bis 2009 für die Grünen/Bündnis 90 im Bundestag saß, die Gelegenheit nutzte, um mit der Regierung ins Gericht zu gehen. Auch Jürgen Maier war früher aktiver Grüner, bis 1991 sogar im Bundesvorstand. Überzeugend war die Kritik trotzdem: Bis zu einer multilateralen und kohärenten Nachhaltigkeitspolitik, in der die Vereinten Nationen einen zentralen Platz erhalten, ist es noch ein weiter Weg. Insbesondere lasse es die deutsche Außenpolitik an strategischen Zielen vermissen, die auch ressortübergreifend koordiniert und „generalstabsmäßig“ verfolgt würden. Die Debatte um die post-2015-Entwicklungsagenda, in der soziale und ökologische Ziele zusammengedacht werden müssten, könnte dazu eine Chance bieten. Bislang muss die Bilanz jedoch ernüchternd ausfallen.

Gleichzeitig wurde vor überfrachteten Erwartungen an die Institutionen der VN gewarnt. Der schwerfällige Verwaltungsapparat stehe einer effektiven Umsetzung des Mandats der VN entgegen. Selbst wenn es vielerorts an der finanziellen Ausstattung mangele, seien solche Probleme zum Teil auch hausgemacht. Mehr Geld allein kann deshalb auch keine Lösung sein.

 

Nachhaltigkeitspolitik über Umwege?

Hier drängen sich Fragen danach auf, wie es in den nächsten 40 Jahren weitergehen soll. Doch leider beschäftigte sich das Panel nur am Rande mit den Zukunftsaussichten. Jürgen Maier dachte laut darüber nach, ob die Zusammenarbeit über parallele Strukturen jenseits der UN im Bereich der Entwicklungs- und Umweltpolitik zu besseren Ergebnissen führen könnte. Probleme multilateraler Kooperation seien auch im Bereich des Welthandels zu beobachten. So kommt die Doha-Runde der WTO seit Jahren nicht vom Fleck. Dagegen werden im Bereich des Welthandels solche Blockaden dadurch umgangen, dass auf bilateraler und regionaler Ebene weitreichende Handelsliberalisierungen beschlossen werden. Wenn man dies nun auf die Umwelt- und Entwicklungspolitik überträgt, muss darüber nachgedacht werden, ob Deutschland zur Umsetzung einer anspruchsvollen Nachhaltigkeitsagenda nicht eher weniger Multilateralismus im Rahmen der Vereinten Nationen wagen muss.

Dieser Weg über Building Blocks wird von der Politikwissenschaft auch am Beispiel der Klimapolitik diskutiert. Wenn ein globaler Deal scheitert, soll durch ein Nebeneinander von ambitionierten bilateralen und multilateralen Verträgen außerhalb der VN vorangeschritten werden. Doch ob dadurch ein dichtes Geflecht nachhaltiger Umwelt- und Entwicklungspolitik herausgebildet werden kann, ist skeptisch zu beurteilen. Während der Freihandel gerade von den wirtschaftlich starken Staaten als sehr attraktiv bewertet wird und diese entsprechend engagiert agieren, ist dies bei der Umwelt- und Entwicklungspolitik nicht unbedingt der Fall. Umwelt- und Entwicklungspolitik gelten vielen immer noch als wirtschaftspolitisches Hindernis. Daher ist eine Vorreiterrolle nur dann sinnvoll, wenn eine realistische Aussicht darauf besteht, dass andere wichtige Staaten folgen. Doch ist beispielsweise in der Klimapolitik kaum zu erwarten, dass die größten Emittenten China, USA und Indien in naher Zukunft eine radikale Kehrtwende vollziehen. In der Entwicklungspolitik wird es ja gerade – und zu Recht – bemängelt, dass der größere Teil der Gelder eben nicht multilateral vergeben wird. Zu groß ist hier die Gefahr, dass die Zuweisung von Mitteln reinen Wirtschaftsinteressen folgt und für einfache und erfolgversprechende Projekte verwendet wird. Die Staaten, die mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen haben, würden dabei möglicherweise das Nachsehen haben.

Einfache Lösungen sind daher nicht zu erwarten. Auch wenn andere Foren wie die G20 in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden oder sich die Balance der Mächte zu Gunsten der BRICS-Staaten verschieben wird: die Vereinten Nationen bleiben der Ort, an dem alle Staaten vertreten sind und an gemeinsamen Lösungen arbeiten können. Es bleibt also das etwas schale Gefühl, dass die Entwicklungs- und Umweltpolitik auch in den nächsten 40 Jahren von Dilemmata und Inkohärenzen gekennzeichnet sein wird.

 

Panel 1: Lehren der deutschen UN-Politik im Bereich Umwelt, Entwicklung und Nachhaltigkeit, 19.09.2013, 9.30 Uhr

Referat: Silke Weinlich, Steffen Bauer

Discussants: Uschi Eid, Jürgen Maier

Moderation: Dagmar Dehmer

 

„Deutschland könnte mehr tun“ Ein Kurzinterview mit Andreas Zumach

Andreas Zumach ist seit 1988 freier Journalist am UN-Sitz in Genf.

Andreas Zumach

1) Ist die 40-jährige Mitgliedschaft Deutschlands in der UN ein Grund zum Feiern?

Es kommt darauf an, wie man feiert: Aus nostalgischer Verzückung, um Selbstlob zu üben, oder ob man überlegt, was in den nächsten 40 Jahren verbessert werden könnte und wie man konstruktiver mitmachen könnte, um die UN zu stärken

2) Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?

Ich halte es für völlig verfehlt, dass sich die deutsche UN-Politik einseitig auf die Reform des Sicherheitsrates verengt hat und den Anspruch formuliert, einen eigenen Sitz mit Vetorecht zu erhalten. Darüber wurden viele andere Bereiche der UN-Reform vernachlässigt. Langsam setzt hier ein Umdenken ein, aber dies muss noch konsequenter erfolgen.

Die Beteiligung Deutschlands an völkerrechtswidrigen Kriegseinsätzen hat die Bindungswirkung des Gewaltverbots und damit die UN-Charta in seiner politischen und rechtlichen Wirkungsmacht ein Stück weit unterminiert. Mit dem Kosovokrieg 1999 und der Unterstützung des und der Beteiligung am Irakkrieg 2003 treten wir hinter eine zivilisatorische Errungenschaft nach dem zweiten Weltkrieg zurück.

Deutschland könnte mehr dafür tun, um unterhalb und außerhalb des Sicherheitsrates die Handlungsfähigkeit der UN zu stärken und damit die Herausforderungen, die Kofi Annan auch in seinem Reformbericht von 2005 benannt hat, angehen.

3) Wo ist Deutschland ein Musterknabe?

Ich sehe nicht, dass Deutschland ein Musterknabe ist. Deutschland handelt in manchen Punkten auch gegen die Interessen der UNO. Ein Beispiel sind die Rüstungsexporte. Hier ist Deutschland weltweit an dritter Stelle, mit steigenden Anteilen. Das steht im diametralen Gegensatz zu der Behauptung, dass wir uns für Abrüstung und friedliche Konfliktlösungen  einsetzen.

Zweitens gibt es Defizite im Bereich des Welthandels. Dies ist zwar nur ein Randaspekt des UN-Systems, hat aber Auswirkungen auf die Entwicklungsagenda der UNO. Ich nenne hier nur die Agrarsubventionen mit all ihren katastrophalen Folgen für beispielsweise die afrikanischen Staaten.

Und drittens könnte Deutschland mehr Ressourcen einsetzen. Das betrifft aktuell die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Syrien-Konflikt. Das Hochkommissariat für Flüchtlinge bittet Europa darum mehr Menschen aufzunehmen, um die Hauptaufnahmeländer zu entlasten. Es ist schäbig und schändlich, dass die deutsche Regierung gerade mal 5.000 Flüchtlinge aufnehmen will. Auch wenn es um Fragen des Peacekeeping geht, sollte Deutschland dringend benötigtes Material und Soldaten/-innen oder anderes Personal zur Verfügung stellen.

„Ein einzigartiges Forum“ – Kurzinterview mit Prof. Dr. Hans-Joachim Vergau

Prof. Dr. Hans-Joachim Vergau, war unter anderem zehn Jahre in leitender Funktion an der deutschen UN-Vertretung in New York.

 

1.)  40 Jahre VN-Mitgliedschaft. Ist das ein Grund zum Feiern?

 Ja.   Die VN vollziehen 1973 einen wesentlichen Schritt in Richtung Universalität der Gemeinschaft der Mitglieder. Sie setzen sich hinweg über die internationale Ächtung, die Deutschland durch die 1933 bis 1945 begangenen Verbrechen auf sich geladen hat. Endgültig wird demonstriert, dass die Feindstaatenklauseln in Art. 53 und Art. 107 der VN-Charta obsolet sind.

Die VN-Mitgliedschaft öffnete für die deutsche Seite ein einzigartiges Forum, seine Anliegen international zur Geltung zu bringen.

2.)  Wo ist Deutschland ein „Musterknabe“?

Zum regulären VN-Haushalt und zu den Budgets für friedenserhaltende Maßnahmen ist Deutschland drittstärkster Beitragszahler und leistet seine Zahlungen stets pünktlich. Seit 1990 stellt Deutschland Streitkräfte für VN-mandatierte Einsätze, zurzeit 6000 Menschen, und stellt in hohem Maße Zivilpersonal für friedenserhaltende Maßnahmen bereit. Deutschland hat wesentlich beigetragen zu Fortschritten im Seerecht und hat den Internationalen Seerechtsgerichtshof in Hamburg aufgenommen. Ferner ist Deutschland Gastgeber für zahlreiche VN-Institutionen in Bonn. Deutschland hatte eine maßgebende Rolle bei der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs. Das deutsche Engagement zeichnet sich durch die wesentliche Mitwirkung am Verhandlungsprozess zur Befreiung Namibia 1977-90 aus. Auch die Hereinholung von Jugendlichen möchte ich nennen.

3.)  Wo gibt es Nachholbedarf?

 In recht vielen Bereichen.

Zum Beispiel: Deutschland stellt zu wenig Personal an führenden Stellen im VN-Sekretariat und in sonstigen VN-Institutionen. Die sachliche Darstellung der VN in den deutschen Medien ist mangelhaft. Deutschland sollte als Tagungsort überragend wichtiger VN-Weltkonferenzen hervortreten. (1993 hätte die dann nach Wien gegebene Weltkonferenz über Menschenrechte mit Sicherheit nach Berlin geholt werden können; sie wurde als zu teuer abgelehnt.)

„Deutschland ist bereit für das Bohren dicker Bretter“ – Karl Walter Lewalter, Botschafter a.D., zur deutschen VN-Politik

Der Nachmittag der gestrigen Fachtagung gehörte dem Rückblick auf 40 Jahre deutsche Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen. Kontrovers ging es gegen Abend zu: Johannes Varwick präsentierte in seinem Referat zu Deutschland als UN-Mitglied 1990 bis heute mitnichten trockene Fakten und Zahlen. „Der VN-freundliche Tenor der Bundesrepublik Deutschland hat sich über die letzten Jahrzehnte nicht geändert“, sagte Varwick, „aber das reicht nicht“. Von Deutschland als relevanter Mittelmacht werde erwartet, dass es verstärkt auch bei kontroversen Themen Akzente setze, sich positioniere und Initiative ergreife. Finanzielle Beiträge reichten nicht aus, die Bundesrepublik müsse praktische Taten folgen lassen. Als Beispiel nannte er Deutschlands Beteiligung an Friedensmissionen: Deutsches Personal sollte in substantieller Größenordnung auch in VN-geführten, nicht nur in VN-mandatierten Missionen eingesetzt werden. Mit einem Zitat Theodor Paschkes lässt sich viel von Varwicks Kritik zusammenfassen: „Wir klotzen nirgends, weil wir überall kleckern.“

Lewalter

Zu der Frage, ob Deutschland mehr leisten muss in den Vereinten Nationen und wie sich die Bundesrepublik in der Vergangenheit eingebracht hat, haben wir Karl Walter Lewalter, ehemaliger Botschafter bei der Ständigen Vertretung Deutschlands bei den Vereinten Nationen in Genf (1998-2003) und Präsidiumsmitglied der DGVN, am Rande der Veranstaltung interviewt.

Aus Ihrer Erfahrung als Praktiker: Ist Deutschland „Musterknabe“ in den Vereinten Nationen? Welchen Blick haben Sie durch Ihre Arbeit in Genf erlangt?

Ich zögere bei dem Wort „Musterknaben“ etwas, das wäre vielleicht zuviel Eigenlob. Aber wir haben uns kontinuierlich bemüht, in unserer Politik nicht nur die Perspektive eines europäischen Industriestaates in die Vereinten Nationen hineinzutragen, sondern unterschiedlichste Interessen zusammenzuführen und Kompromisse möglich zu machen. In Genf etwa haben wir uns bei verschiedenen Projekten zu Resolutionen – etwa in der damaligen Menschenrechtskommission – auch durchaus immer wieder Partner aus dem Süden gesucht. Das betraf zum Beispiel Projekte aus dem Bereich der sozialen und kulturellen Rechte. Das waren natürlich Einzellösungen, aber auch so baut man Brücken. Es zeigt auch, dass wir versucht haben, nicht das klassische europäische Bild zu projizieren, sondern uns in den Vereinten Nationen eine zukunftsfähige Haltung zu erarbeiten.

Mary Robinson hat neben lobenden Worten für Deutschland auch gefordert, leadership zu zeigen, „boldly and duly“. Muss Deutschland auch angesichts seiner wichtigen Rolle in Europa in den Vereinten Nationen mehr Führungsverantwortung übernehmen?

Mary Robinson hat einen sehr positiven Eindruck von der deutschen VN-Politik, die sich vor allem auch auf ihre Genfer Erfahrung gründet. Ich meine, wir müssen etwas bescheiden sein und dürfen uns selber die Latte nicht zu hoch legen. Vor allem aber müssen wir mit langfristiger Perspektive arbeiten. In der Zeit des geteilten Deutschlands ging es häufig um kurzfristige Lösungen. Von dieser Last der Vergangenheit sind wir jetzt befreit und damit auch bereit für das Bohren dicker Bretter. Wir können uns also durchaus viel vornehmen. Aber ich glaube, diese Programme dürfen nicht kurzfristigen Tests unterzogen werden, um ihren Erfolg zu messen. Im vereinten Europa können wir uns dafür einsetzen, dass andere europäische Partner mit uns gemeinsam eine stärkere Rolle für eine zukunftsfähige Arbeit in den Vereinten Nationen einnehmen. Aber Deutschland alleine darf sich da nicht überschätzen.

Also das Bohren dicker Bretter, aber nur gemeinsam mit Partnern?

Ja. Dicke Bretter in langfristiger Perspektive. Ein schönes Beispiel aus den vergangenen Jahrzehnten ist etwa die Abschaffung der Todesstrafe. Das war ein hochgestecktes Ziel, welches von unseren Partnern zunächst eher belächelt wurde. Aber wir haben dieses Ziel konsequent über die Jahre hinweg verfolgt und schauen Sie, wo wir heute stehen. Solche Ziele kann man sich setzen. Aber man darf den Erfolg einer langfristigen Politik nicht in Generalversammlungen oder Legislaturperioden messen.

Was ist heute die größte Herausforderung, der sich Deutschland in den Vereinten Nationen stellen muss?

Deutschland muss gemeinsam mit Partnern eine vernünftige Auslegung der Responsibility to Protect entwickeln. Ich meine, wir greifen immer zu schnell zum letzten Mittel. Deswegen müssen wir stärker an der Prävention arbeiten, aber auch an Alternativen zu kriegerischen Maßnahmen, zum Beispiel effektiveren Sanktionen.

Das Interview führte Hannah Birkenkötter

Zum Auftakt ein Festakt

von Hannah Birkenkötter und Gerrit Kurtz

Westerwelle eröffnete den Festakt, Photo © photothek/Trutschel

Westerwelle eröffnete den Festakt, Photo © photothek/Trutschel

Geburtstage soll man feiern, wie sie fallen. Das hatte sich auch das Auswärtige Amt gedacht und beging das 40jährige Jubiläum der Mitgliedschaft Deutschlands in den Vereinten Nationen am heutigen Tage mit einem Festakt. Auch in der Woche vor der Bundestagswahl und einer international dominierenden Diskussion zur Lage in Syrien lohnt stets ein reflektierender Blick auf die Vereinten Nationen und die deutsche Rolle darin. Dazu bot auch der Festakt erste Anknüpfungspunkte, zu dem sich viel frühere und aktuelle deutsche UN-Prominenz im Weltsaal eingefunden hatte.

Außenminister Guido Westerwelle macht den Anfang mit einer Auflistung der Grundsätze deutscher UN-Politik. Gleichwohl setzt er diese auffällig deutlich in den Kontext  der aktuellen Diskussionslage der Chemiewaffen in Syrien. Westerwelle verurteilt den Einsatz von Giftgaswaffen und betont noch einmal, es gebe erdrückende Beweise für eine Verantwortlichkeit des Assad-Regimes für diesen eindeutigen Völkerrechtsverstoß. Er fordert einen Beschluss des Sicherheitsrats, die Sache an den Internationalen Strafgerichtshof zu überweisen – unbenommen der Frage ob eine Begrenzung des Mandats nur auf die Chemiewaffen überhaupt möglich ist.. Neben dieser doch sehr konkreten Forderung verblassen die bekannten Ausführungen Westerwelles zur Reform des Sicherheitsrats und Deutschlands Einsatz in der Friedenssicherung. Zumal erwähnt er nicht, dass lediglich ein sehr geringer Teil (255) von den „fast sechstausend Soldaten, Zivilkräften und Polizisten in UN-Missionen und UN-mandatierten Missionen“ in tatsächlichen Blauhelmmissionen eingesetzt wird. Diese Fragen werden sicherlich noch Themen der Fachtagung sein.

Als Festrednerin stimmt Mary Robinson, erste Hochkommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen und mittlerweile VN-Sondergesandte für die Region der Großen Seen, den richtigen Ton an. Neben einem der Gelegenheit geschuldeten deutlichen Lob Deutschlands, fordert sie Deutschland auf, eine stärkere Führungsrolle in den Vereinten Nationen einzunehmen: „Nehmt den Bogen des Schicksals auf, mutig und pflichtbewusst.“ Deutschland solle eine „voraussehende multilaterale Führung“ und sein Engagement in den Vereinten Nationen intensivieren und verstärken.

Aus ihrer aktuellen Arbeit nannte sie ein konkretes Beispiel: Zusammen mit dem gerade ernannten deutschen Sondergesandten des Generalsekretärs für die Demokratische Republik Kongo (und Leiter der dortigen UN-Mission MONUSCO) mache sie bei der kongolesischen Regierung und den beteiligten Regionalmächten beständig Druck, dass es nicht zu einer erneuten Eskalation der Gewalt im Ostkongo komme. Die große öffentliche Unterstützung für Martin Kobler durch die Bundesregierung scheint also punktuell ihrer Forderung nach größerer Führungsstärke Deutschlands in den Vereinten Nationen zu entsprechen.

Die Podiumsdiskussion. © photothek/Trutschel

Die Podiumsdiskussion, Photos © photothek/Trutschel

An dieses Stichwort deutscher Initiativen knüpft Klaus Töpfer an, der gemeinsam mit der ehemaligen deutschen Jugenddelegierten Heidrun Fritze und den ehemaligen Ministern Egon Bahr und Hans-Dietrich Genscher den Festakt durch eine Podiumsrunde beschließt. Klaus Töpfer betont vor allem den Erfolg der umweltpolitischen Themen als menschenrechtliche Belange, die in der Anerkennung eines Rechts auf sauberes Trinkwasser durch die Generalversammlung mündeten. Hier habe sich Deutschland stark eingesetzt und zu einem Umdenken beigetragen. Während Genscher und Bahr in Anekdoten über deutsch-deutsche Zusammenarbeit und die weltgeschichtliche Linie von Ostpolitik bis zur Wiedereinigung schwelgten, verwies die ehemalige Jugenddelegierte Fritze auf das oftmals mangelnde Wissen und Verständnis über die Vereinten Nationen in der deutschen Bevölkerung, insbesondere unter Jugendlichen. Dabei ist die deutsche UN-Politik keineswegs ein reines Elitenprojekt, wie das lebhafte zivilgesellschaftliches Engagement in Deutschland, gerade auch unter jungen Menschen, die zu tausenden jährlich an Model UN Konferenzen teilnehmen und sich in Dutzenden lokalen Gruppen für die Verbreitung der Idee der Vereinten Nationen einsetzen, zeigt.

Die laufende DGVN-Fachtagung ist ein gutes Beispiel für diese Balance zwischen Zivilgesellschaft und offizieller Außenpolitik. Stay tuned.

“Deutschland ist ein wichtiger Träger der Vereinten Nationen” – Interview mit Prof. Dr. Georg Nolte

Dies ist der erste Teil unseres Schwerpunkts zur 40jährigen Mitgliedschafts Deutschlands in den Vereinten Nationen.

Prof. Dr. Georg Nolte, (c) http://nolte.rewi.hu-berlin.de/

(c) HU Berlin

Es gibt etwas zu feiern: Am 18. September 1973, vor 40 Jahren, traten die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik als 133. und 134. Mitglied den Vereinten Nationen bei. Anlässlich dieses Jubiläums veranstaltet die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen eine Fachtagung in Berlin, auf der nicht nur zurück-, sondern auch nach vorn geschaut werden soll. Einen ersten Einblick gewährt unser Interview mit Professor Dr. Georg Nolte, Völkerrechtsprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitglied der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen. Professor Nolte wird im Rahmen der Fachtagung eine Keynote-Speech zur Rolle Deutschlands bei der Weiterentwicklung des Völkerrechts halten.

Was bleibt aus den 17 Jahren paralleler Mitgliedschaft besonders in Erinnerung? Wie hat sich Deutschlands Rolle in den VN seit 1990 verändert?

Die beiden deutschen Staaten haben sich als Mitglieder der Vereinten Nationen im Verhältnis zueinander weniger kontrovers verhalten als vor ihrer Mitgliedschaft. Bei Gegenständen, welche keine spezifischen Auswirkungen auf das Verhältnis zueinander hatten, haben sie sich im Rahmen der Vorstellungen ihres jeweiligen „Lagers“ bewegt. Heute noch lehrreich sind die unterschiedlichen menschenrechtlichen Vorstellungen, welche von beiden deutschen Staaten bis 1990 vertreten wurden.

Gemäß Artikel 53 und 103 der Charta gilt Deutschland nach wie vor als „Feindstaat“. Hat diese Regelung noch Bestand?

Die Generalversammlung hat die Feindstaatenklauseln im Jahr 1995 in Resolution 50/52 für „obsolet“ erklärt. Darüber hinaus haben sich die Staaten im Jahr 2005 in einer im Konsens angenommenen Resolution (im sog. Outcome-Dokument) weiterhin „entschlossen“ gezeigt, die Bezugnahmen auf Feindstaaten in der Charta mittels eines formellen Vertragsänderungsverfahrens zu beseitigen. Richtigerweise sind die Klauseln nach allgemeinem Völkerrecht auch dadurch rechtlich obsolet geworden. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass die formelle Fortexistenz der Klauseln in der Charta von einzelnen Staaten in zukünftigen Situationen als Anknüpfungspunkt verwendet wird. Hierfür gibt es zur Zeit in Ostasien mehr denkbare Anlässe als in Europa.

Nach 40 Jahren in den Vereinten Nationen: Ist Deutschland der „Musterknabe“ in den Vereinten Nationen?

Deutschland ist sicher ein geachtetes Mitglied der UN. Der Ausdruck „Musterknabe“ legt allerdings auch nahe, dass jemand beweisen möchte, dass er oder sie besonders gut ist. Ich glaube nicht, dass andere Staaten heute annehmen, dass Deutschlands Positionen und Verhalten dadurch zu erklären sind, dass das Land etwas beweisen möchte. Deutschland ist ein wichtiger Träger der Vereinten Nationen und seine Werte und Interessen machen es ihm in den meisten Fällen möglich, eine konstruktive Haltung innerhalb der UN zu vertreten. Allerdings kann man nicht sagen, dass Deutschland in Hinblick auf das wichtigste Element der UN-Mitgliedschaft, die Bereitschaft zur Unterstützung auch von militärischen Zwangsmaßnahmen Kollektiver Sicherheit, immer eine klare Linie gefunden hat.

Was erwarten Sie sich von der DGVN-Tagung?

Ich hoffe, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in eine gute Balance gebracht werden.