Nächster Teil unserer Serie zum 4. UN-Forschungskolloquium.
von Thurid Bahr
Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Internationale Organisationen und Politikfelder der Unversität Potsdam
Die Regulierung transnationaler Unternehmen (TNUs) über Ländergrenzen hinweg steht seit den 1960er Jahren auf der Agenda internationaler Organisationen (Ronit 2011). In der Vergangenheit wurde zumeist über die Vereinten Nationen (VN) versucht, TNUs zu regulieren. Bis vor kurzem waren diese Versuche jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Sogar eine rechtlich nicht verpflichtende Erklärung schien unerreichbar. Gute Nachrichten aus der Unternehmenswelt waren gleichermaßen selten. Als beispielhaft für die Kritik an TNUs gelten die in den 1990er Jahren aufgekommenen Vorwürfe, Shell würde angesichts von Menschrechtsverletzungen in Nigeria schweigen, oder dass Nike von Kinderarbeit in seinen Zuliefererketten profitiere.
Bis heute sind die internationalen Regeln für Unternehmen eher bruchstückhaft denn flächendeckend. Die jüngste Regulierungsinitiative, das VN-Rahmenkonzept und die dazugehörigen Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, stehen beispielhaft für die Grenzen der Steuerungsmöglichkeiten von Global Governance im Allgemeinen und der Regulierung von TNUs im Besonderen. Sie stellen einen Versuch dar, negative Auswirkungen unternehmerischer Tätigkeit auf die Achtung der Menschenrechte anzugehen.
Die OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen und die Safeguard Policies/Sustainability Framework der Internationale Finance Corporation sind zwei Beispiele für den Versuch der Regulierung von TNUs durch internationale Organisationen. Seit den 1990er Jahren wird dieser Trend zunehmenden durch Formen der Regulierung mit TNUs ersetzt. Hier können verschiedene sog. „Multistakeholder Initiativen“ zwischen Staaten und nicht-staatlichen Akteuren (z.B. Unternehmen) genannt werden, beispielsweise die Äquatorprinzipien für Finanzinstitute, oder die freiwilligen Grundsätze zu Sicherheit und Menschenrechten (Voluntary Principles on Security and Human Rights).
2005 ernannte die damalige Menschenrechtskommission der VN einen Sonderbeauftragten des Generalsekretärs für Wirtschaft und Menschenrechte: John G. Ruggie, einen Professor der Harvard Universität. Sein Auftrag war zunächst, die jeweiligen Verantwortlichkeiten von Staaten und TNUs mit Blick auf Menschenrechte zu benennen und zu klären. Zudem veröffentlichte Ruggie ein Rahmenkonzept für Wirtschaft und Menschenrechte, sowie entsprechende Leitprinzipien zu seiner Umsetzung, welche 2011 vom VN-Menschenrechtsrat einstimmig angenommen wurden (Human Rights Council 2011).
Die staatliche Verantwortung zum Schutz vor Menschenrechtsverletzungen, auch jene, die durch Unternehmen verursacht wurden, wird durch das Menschenrechtsregime geregelt. Jedoch unterscheiden sich nationale Gesetzgebungen, die unternehmerische Tätigkeit in Bezug auf Menschenrechte regeln, stark voneinander. Überdies werden TNUs in der Regel nicht als Völkerrechtssubjekte angesehen, obwohl sich die Reichweite nationaler Gesetze meist auf das Territorium des gesetzgebenden Staates beschränkt. Zudem wird eine Sanktionierung der Menschenrechtsverletzungen durch TNUs bisher nicht über die Instrumentarien der internationalen Strafgerichtsbarkeit gewährleistet. So entstehen internationale Regulierungslücken (Ruggie 2014: 9).
Diese Lücken können internationale Organisationen nicht ohne weiteres ausfüllen, da ihnen das entsprechende Mandat fehlt, um für TNUs verbindliche Regeln zu setzen oder diese zu sanktionieren. Aus ähnlichen Gründen können Multistakeholder Initiativen dies eben so wenig leisten. Wo unterschiedliche Formen von Governance und unterschiedliche Rechtsgebiete (beispielsweise Außenhandelsförderung und Gesetzgebung zur Umsetzung internationaler Menschenrechtsverpflichtungen) in Widerspruch stehen, kommt es zu einer Fragmentierung des Governance Systems im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte. Daher ist das Hauptziel des VN Rahmenkonzepts und der Leitprinzipien, eine Konsistenz unterschiedlicher Regelwerke herbeizuführen. Sie zielen nicht darauf ab, rechtlich verbindliche Verpflichtungen für TNUs zu schaffen.
Das Rahmenkonzept und die Leitprinzipien versuchen, richtungsweisende Vorgaben für Staaten und Unternehmen, vor allem TNUs, zu machen. Welchen Einfluss haben sie auf inhaltliche Kohärenz im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte? Dieser Blogeintrag gibt ein Beispiel für die Untersuchung der Frage, ob das Rahmenkonzept und die Leitprinzipien existierende Regelungen eher zusammenbringen werden, oder weiter auseinanderbrechen lassen. Im Folgenden wird eine eigene empirische Untersuchung vorgestellt, die das Konzept des Fragmentierungsgrads als theoretisches Werkzeug nutzt, um diese Frage empirisch zu beantworten.
Drei Jahre nach der Zustimmung des Menschenrechtsrats zum Rahmenkonzept und den Leitprinzipien zeigt sich ein Trend zu weniger Fragmentierung des Governance Systems für Wirtschaft und Menschenrechte. Die in diesem Blogeintrag vorgestellte eigene empirische Untersuchung von vier Regulierungsinitiativen internationaler Organisationen und vier Multistakeholder Initiativen in den Zeiträumen 2003-2010 und 2011-2014 ergab, dass der Fragmentierungsgrad im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte nach der Verabschiedung der Leitprinzipien geringer war als vorher. Die Inhalte ehemals dissoziierter Policy-Dokumente und Multistakeholder Initiativen verweisen über die Zeit verstärkt auf das Rahmenwerk und die Leitprinzipien. Selbst einige Regulierungsinitiativen außerhalb des VN-Systems beziehen sich nun auf die beiden Dokumente als maßgebliche Standards.
Analysiert wurden die Inhalte der ILO-Erklärung über die Grundprinzipien und Rechte am Arbeitsplatz, die OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen, das IFC Safeguard Policies/Sustainability Framework, das Green Paper der EU zu Corporate Social Responsibility und seine Nachfolgerdokumente sowie auf Seiten der Multistakeholder Initiativen die Äquator Prinzipien, die freiwilligen Grundsätze zu Sicherheit und Menschenrechten, die Sustainability Reporting Guidelines der Global Reporting Initiative, und das Zertifizierungsschema SA8000 von Social Accountability International.
Die Untersuchung zeigt, dass 2014 alle Initiativen mit Ausnahme der ILO-Erklärung eine unternehmerische Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte anerkennen, wohingegen dies während des ersten Untersuchungszeitraums nicht durchweg beobachtet werden konnte. Dies könnte ein Hinweis für eine stärker werdende Norm unternehmerischer Verantwortung sein. Indem die unterschiedlichen Akteure über gemeinsame Initiativen auf ein einheitliches Regelwerk verweisen können, so wird im vorliegenden Beitrag angenommen, verringert sich der Grad der Fragmentierung im Bereich Wirtschaft und Menschrechte. Ein Hinweis auf Konvergenz besteht also insofern, als die untersuchten Initiativen vermehrt auf eine einzelne Richtlinie verweisen und nicht nur die Verbindung zwischen den Akteuren, sondern auch die Verbindlichkeit erhöht wird. Beispielsweise verweisen die OECD-Leitlinien nach 2011 direkt auf die Leitprinzipien als eine autoritative Quelle zu Fragen rund um die unternehmerische Verantwortung für die Achtung der Menschrechte. Ihnen wurde im Rahmen einer Überarbeitung sogar ein gänzliches neues Kapitel zum Thema Menschenrechte hinzugefügt. Und auch Multistakeholder Initiativen wie die Äquator Prinzipien oder die Sustainability Reporting Guidelines der Global Reporting Initiative beziehen sich entweder sinngemäß oder wörtlich auf die Leitprinzipien.
Natürlich sind diese Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen: dass ein geringerer Fragmentierungsgrad mit der Verabschiedung der Leitprinzipien zusammenfällt bedeutet nicht, dass letztere die Ursache für mehr Konvergenz ist. Die Ergebnisse machen jedoch weitere Forschung zu den Ursachen besonders spannend. Inzwischen erscheint die Schlussfolgerung zulässig, dass die menschenrechtsbezogenen Regeln für TNUs heute einheitlicher sind als noch vor zehn Jahren.
Human Rights Council 2011: A/HRC/Res/17/4 Human Rights and Transnational Corporations and Other Business Enterprises : Resolution / Adopted by the Human Rights Council, Geneva.
Ronit, Karsten 2011: Transnational Corporations and the Regulation of Business at the Global Level, in: Reinalda, Bob (Ed.): The Ashgate Research Companion to Non-State Actors, Farnham, 75-87.
Ruggie, John G. 2014: Global Governance and „New Governance Theory“: Lessons from Business and Human Rights, in: Global Governance 20, 5-17.