Das Ende des Boy’s Club?

Appointment of the Secretary-General of the United Nations [item 113]

(c) UN Photo/Cia Pak

von Albert Denk

Nun wurde es also doch wieder ein Mann. Nein, dieser Beitrag handelt nicht von Donald Trump, zumindest nicht direkt. Die Rede ist von António Guterres. Der Portugiese wird zum 1. Januar 2017 neuer Generalsekretär der Vereinten Nationen – „als Stimme der Welt, ja als ein weltlicher Papst“. Die Wahl von António Guterres steht sinnbildlich für die männliche Dominanz in Führungspositionen bei den Vereinten Nationen. Guterres selbst verspricht, diese Art von boy’s club zu verändern. So berief er vor wenigen Tagen drei Frauen auf hochrangige Positionen. Doch wieder einmal ist es ein Mann, der eine Frau als seine Stellvertreterin benennt und nicht umgekehrt. Die mächtigste Position der Weltorganisation bleibt auch nach 71 Jahren männlich besetzt.

Am 5. Oktober wurde das Ergebnis der Wahl vom UN-Sicherheitsrat verkündet, dabei handelte es sich um 14 Männer und eine Frau. Nach Anne Marie Goetz bedeuten männerdominierte Beschlüsse wie diese, dass weibliche Führung nicht nur selten, sondern eigentlich unvorstellbar ist. Zivilgesellschaftliche Kampagnen wie WomanSG oder 1for7Billion plädierten für eine Frau als nächste Generalsekretärin. Dennoch verlief die Wahl von Guterres überraschend schnell und nahezu widerspruchslos. Obwohl sich sieben weibliche Kandidatinnen bewarben, die ebenso höchst qualifizierte und erfahrene Anwärterinnen für das Amt sind, wurde keine weibliche Generalsekretärin gewählt. Selbstverständlich sind die Ursachen tiefgreifender, dennoch kann die Ablehnung sämtlicher Bewerberinnen als mangelnde Geschlechtergleichheit gedeutet werden.

Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hätte die Wahl des Generalsekretärs (sowie die Nicht-Wahl einer Generalsekretärin) auf die zu Grunde liegenden Machtverhältnisse zurückgeführt und damit mangelnde Chancengleichheit aufgezeigt. António Guterres verkörpert sämtliche Privilegien, die als klassische Diskriminierungskategorien zu einer sozialen Reproduktion von ungleich verteilter Macht führen. Dazu zählen Hautfarbe, Religion, soziale Schicht, Staatsbürgerschaft und vor allem Geschlecht. Guterres ist bekanntlich ein Mann – zudem ein weißer, katholischer, der sozialen Oberschicht angehörender, europäischer und aus einer ehemaligen Kolonialmacht stammender.

So kann Guterres‘ Wahl symbolisch für die Machtverhältnisse innerhalb der Vereinten Nationen gedeutet werden. Wie groß diese symbolische Macht ist, zeigt sich insbesondere in folgenden Zahlen zur Geschlechtergerechtigkeit. In der 71-jährigen Historie der Vereinten Nationen gab es 424 männliche und 28 weibliche Ausschussvorsitzende, 68 männliche und 3 weibliche Vorsitzende der Generalversammlung sowie 9 männliche Generalsekretäre und keine einzige weibliche Generalsekretärin. Im letzten Jahr gingen 9 von 10 Führungspositionen bei den Vereinten Nationen an Männer. Angela Kane, bis 2015 Hohe Repräsentantin der Vereinten Nationen für Abrüstungsfragen, betont: „Außer im Fall der USA wurde kein anderer Staat der vier ständigen Sicherheitsratsmitglieder je von einer Frau vertreten“. Die USA wiederum haben bis heute noch nicht einmal das UN-Übereinkommen von 1979(!) zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) ratifiziert.

Wie eingangs erwähnt, bemüht sich Guterres, den boy’s club zu reformieren. Neben der Berufung von Amina Mohammed als stellvertretende Generalsekretärin, ernannte Guterres nun Maria Luiza Ribeiro Viotti als chef de cabinet und Kyung-wha Kang als Sonderberaterin. Bereits im Juni betonte er gegenüber den UN-Mitgliedsstaaten, einen Plan mit Zeitrahmen und Richtwerten vorzulegen, um Geschlechterparität auf allen Ebenen der Vereinten Nationen zu erreichen. Die Plattform openDemocracy attestiert ihm messbare Verbesserungen bei der geschlechtergerechten Stellenbesetzung während seiner Zeit als Hochkommissar der UN für geflüchtete Menschen (UNHCR) zwischen 2005 und 2015. Bei einer öffentlichen Debatte in London veranschaulichte er zudem sein Engagement für eine Geschlechterquote in seiner Partei sowie das Erreichen der Geschlechtergerechtigkeit beim UNHCR.

Christiana Figueres, eine der sieben weiblichen Bewerberinnen um das Amt der UN-Generalsekretärin, beschreibt den Ausgang der Wahl als bittersüß: „Bitter: keine Frau. Süß: bei weitem der beste Mann im Rennen. Gratulation António Guterres! Wir sind alle mit dir.“ Dieser Tweet zeigt, wie unumstritten die fachliche Qualifikation von Guterres ist, der in den letzten zehn Jahren viel Anerkennung erhalten hat. Guterres hat mit eigenen Augen die (Un-)Orte globaler Gleichgültigkeit gesehen. So hat er die Tragik von Lampedusa, Lesvos oder Presevo vor Ort miterlebt und vor allem mitgefühlt. Guterres sagte selbst: „You can’t imagine what it is to see levels of suffering that are unimaginable“. Dieser Erfahrungsschatz gekoppelt an Empathie macht Guterres zu einem vertrauenswürdigen Vertreter globaler Solidarität.

António Guterres wird eine Neuausrichtung globaler Machtverhältnisse einleiten müssen unter dem Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit. Die besondere Schwierigkeit dabei ist, dass Guterres selbst Teil der privilegierten Gruppe (weißer) Männer ist und gleichzeitig dafür sorgen muss, jene Privilegien abzubauen. Ob es ihm gelingen wird, das Ende des boy’s club zu bewirken, bleibt offen. Angela Kane stellte noch vor wenigen Monaten die rhetorische Frage: „Ist es nicht höchste Zeit, dass nach acht Generalsekretären ab dem Jahr 2017 eine Frau die Geschicke der Organisation lenkt?“ Die Antwort ist bekannt. António Guterres wird neuer UN-Generalsekretär.

Antonio Guterres klarer Sieger bei #SGDebate in London

(c) UN Photo / Jean-Marc Ferré

(c) UN Photo / Jean-Marc Ferré

Dieser Beitrag erscheint auch bei dem DGVN-Themenblog #YourNextSG.

Dank der erfolgreichen zivilgesellschaftlichen Kampagne 1for7billion findet die Wahl des nächsten UN-Generalsekretärs vor dem Hintergrund einer breiten öffentlichen Debatte statt. Im Gegensatz zur Geheimniskrämerei vergangener Jahre kennen wir jetzt nicht nur alle Kandidat*innen, sondern können deren Wahlkampf offen verfolgen. Die öffentliche Veranstaltung im Barbican Centre am 3. Juni 2016 in London bot dazu eine willkommene Gelegenheit (hier zum Nachhören).

Auf Einladung der United Nations Association-UK (UNA-UK), einer der Mitbegründer der 1for7billion-Kampagne, und des Guardian kamen drei der mittlerweile elf Kandidat*innen zu einer neunzigminütigen Diskussionsveranstaltung vor einem über tausendköpfigen Publikum zusammen. Trotz intensiver Bemühungen der UNA-UK hatte leider keine der weiblichen Kandidatinnen zugesagt. Von den drei Anwesenden konnte der ehemalige UN-Hochkommissar für Flüchtlinge und Premierminister Portugals von 1995 bis 2002, António Guterres, am meisten überzeugen, wie die Reaktionen des Publikums vor Ort und auf Twitter bestätigten.

Charisma und öffentliches Auftreten

Die Veranstaltung im Barbican Centre war kein gewöhnliches politisches Duell. Zwar haben die meisten Anwesenden keine Stimme in der Wahl des nächsten UN-Generalsekretärs (abgesehen von anwesenden Diplomaten). Dennoch bemühten sich insbesondere die beiden anderen Kandidaten, der ehemalige Präsident der UN-Generalversammlung Vuk Jeremić und Igor Lukšić, der Außenminister Montenegros, Igor Lukšić, auf das Publikum einzugehen.

Jeremić fragte in seinem Eröffnungsstatement nach Handzeichen, wer glaube die UN liefere so wie sie sollte – wenig überraschend blieben die meisten Hände unten. Er verwies darauf, dass es wichtig sei „echten Menschen“ zuzuhören, forderte das Publikum jedoch wiederholt auf, seinen detaillierten 53-Punkte-Plan zu lesen.

Auf die Publikumsfrage, ob er Feminist sei, antwortete Lukšić, der auch stellvertretender Premierminister seines Landes ist, mit einer Gegenfrage: „Meine Regierung war die erste in der Region, die eine weibliche Verteidigungsministerin ernannte – macht mich das zu einem Feministen?“ Lautes Gegrummel verriet, dass viele im Publikum dies nicht als ausreichend ansahen.

Demgegenüber strahlte der deutlich ältere Guterres Gelassenheit und Erfahrung aus. Auf die Frage des Moderators: „António, are you jealous of Vuk’s 53-point platform?“ entgegnete Guterres, dass er Respekt für alle Kandidaten und deren Ideen habe. Anstatt wie die anderen beiden vage über Herausforderungen wie Klimawandel und Entwicklung zu reden, identifizierte Guterres auf eine entsprechende Publikumsfrage hin tatsächlich eine zentrale globale Herausforderung für die nächsten zehn Jahre: eine effektivere Prävention bewaffneter Konflikte und der Aufbau entsprechender Kapazitäten bei den Vereinten Nationen und den Mitgliedstaaten.

Gute Ideen allein reichen nicht, sie müssen auch umsetzbar sein

Wie kann man bei einer solchen Veranstaltung überhaupt die Beiträge der Kandidaten fair bewerten? Charisma und wirksames öffentliches Auftreten gegenüber einem großen Publikum schaden einem UN-Generalsekretär sicher nicht, können für sich genommen aber nicht überzeugen. Für die in Frage stehende Position sollten meiner Ansicht nach mindestens zwei weitere Aspekte hinzukommen: Politischer Ideenreichtum für das System der Vereinten Nationen sowie Beispiele aus eigener Arbeit, die zeigen, dass sich die Kandidaten auch gegen Widerstände für normative Prinzipien eingesetzt haben.

Wie zu erwarten, ist die inhaltliche Debatte zunächst breit und vage – alle Kandidaten setzen sich für eine „bessere Welt“ und „notwendige Reformen“ im UN-System ein. Gleichzeitig sind einige Vorschläge der Kandidaten durchaus spezifisch und können das UN-System voranbringen, wie die Anhörungen der UN-Generalversammlung zeigen. Hier war es aufschlussreich, wie umsetzbar die Vorschläge der drei Kandidaten schienen – gut klingende Versprechen kann schließlich jeder liefern.

So sprach Jeremić davon, dass er „vom ersten Tag an“ die Hälfte der Sondergesandten des UN-Generalsekretärs mit Frauen besetzen und sich für eine neue Generation von robusten „UN-Stabilisierungsoperationen“ einsetzen würde. Angesichts der bürokratischen Maschine des UN-Sekretariats und der tiefen politischen Gräben zwischen truppenstellenden Staaten und dem UN-Sicherheitsrat klang das, sagen wir, sehr ambitioniert. Lukšić sprach sich derweil für die Einrichtung eines Sondertribunals für UN-Friedenssoldaten aus, denen die sexuelle Ausbeutung der Zivilbevölkerung vorgeworfen werde. Guterres warnte: „I am not sure it will be easy to get that“. Während Jeremić sich für eine – notwendige, aber schwierige – 50-Prozent-Erhöhung des Budgets des Hochkommissars für Menschenrechte aussprach, listete Guterres drei relativ konkrete Maßnahmen auf, wie die Human Rights up Front Initiative des UN-Generalsekretärs vorangebracht werden könnte.

Die Kraft, sich für die richtigen Überzeugungen einzusetzen

Der politische Spielraum jedes UN-Generalsekretärs wird auch in Zukunft eng begrenzt bleiben von den Wünschen und Interessen der Mitgliedstaaten sowie der Behäbigkeit des Apparats, so wichtig neue Ideen und Reformbereitschaft auch sein mögen. Daher sind die grundlegenden Überzeugungen des Amtsinhabers oder der zukünftigen Amtsinhaberin entscheidend. Das wichtigste Argument der Debatte konnte dabei nicht die universalistische, liberale Rhetorik sein, der sich alle drei Kandidaten verschrieben, sondern nachvollziehbare Beispiele aus der eigenen politischen Arbeit. Auch hier hatte Guterres die Nase vorn.

Keiner der drei Kandidaten konnte im Abstrakten erklären, wie er gegenüber den mächtigen Staaten im UN-Sicherheitsrat die Einhaltung globaler Spielregeln anmahnen und gleichzeitig mit ihnen arbeiten würde. Konkrete Beispiele ließen eher einen Schluss auf die Überzeugungskraft der Kandidaten zu: Während Jeremić und Lukšić vor allem auf ihre Reformversprechen verwiesen, führte Guterres wiederholt Beispiele aus einer eigenen politischen Arbeit an. Er erzählte, wie er bereits 1992 Geschlechterquoten in seiner Partei in Portugal eingeführt habe und wie das UNHCR Geschlechtergleichheit in den Führungsgremien erreicht habe. Er betonte jedoch, letztlich käme es auf die Ermächtigung (und nicht nur den Schutz) von Frauen und auf das Mainstreaming von Geschlechtergerechtigkeit an. Das UNHCR habe in den letzten 10 Jahren unter seiner Führung die Verwaltungskosten in der Zentrale von 14 Prozent auf 6.5 Prozent gesenkt und seine Aktivitäten verdreifacht.

Lukšić erzählte von seinem Plan, eine Expertenkommission zur Überprüfung des in den letzten Jahren stark gewachsenen Haushalts, einzusetzen. Dazu meinte Jeremić in einer abwertenden Geste: „I think I am the only person here who has actually chaired the 5th Committee [zuständig für den Haushalt] […]. I think Igor would find it very hard as Secretary-General to pull this particular idea through“.

 

Nach dem trockenen Ban Ki-moon brauchen die Vereinten Nationen einen Generalsekretär, der Menschen inspirieren kann. António Guterres ist ein ernsthafter Kandidat in diesem Rennen. In der Abschlussrunde erzählte er, was ihm Hoffnung mache:

In this last ten years working with refugees, and seeing what it is to be a Syrian family that has seen their house destroyed, friends being killed, moving in dramatic circumstances into Turkey, and then moving into a boat, where they might perish, because they have hope in their future and in the future of their children. When I see their resilience, their courage because they have hope, I think it is our duty not only to be hopeful but to make sure that their hope becomes the true thing”.

Die kommenden Monate werden zeigen, ob Guterres auch bei den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats punkten kann.

Eine „Kultur der Wahrheit?“

Chancen und Grenzen des neuen Wissenschaftlichen Beirats des UN-Generalsekretärs

Dieser Beitrag erscheint parallel auf dem Bretterblog.

Vorstellung des Wissenschaftlichen Beirats im Auswärtigen Amt, (c) photothek/Gottschalk

Vorstellung des Wissenschaftlichen Beirats im Auswärtigen Amt, (c) photothek/Gottschalk

Die Vereinten Nationen bewegen sich auf ein Jahr der Weichenstellungen hin. 2015 sollen unter anderem die Nachfolgeziele der Millenniumentwicklungsziele (MDGs) von einem Sondergipfel im September verabschiedet werden; die UN-Generalversammlung will einen erneuten Versuch wagen, den Sicherheitsrat – nun aber wirklich – zu reformieren und in Paris soll ein rechtlich verbindliches Abkommen zur Bewältigung des globalen Klimawandels verabschiedet werden.

Angesichts dieser Agenda kann der UN-Generalsekretär jede Unterstützung gebrauchen. Zur wissenschaftlichen Flankierung des politischen Ringens um tragfähige Kompromisse hat Ban Ki-Moon einen Wissenschaftlichen Beirat (Scientific Advisory Board, SAB) ins Leben gerufen. Diesem gehören 26 namhafte Wissenschaftler_innen aus der ganzen Welt an. Der Beirat, der auf eine Empfehlung des Panels for Global Sustainability (unter Vorsitz der Präsidenten Finnlands und Südafrika) zurückgeht, feierte am Donnerstag, 30.01.2014, seine konstituierende Sitzung im Auswärtigen Amt in Berlin.

Aufgaben und Relevanz noch zu klären

Die genauen Aufgaben des „höchsten Wissenschaftsgremiums der Welt“ (Spiegel Online) sind allerdings noch recht vage gehalten. Grundsätzlich soll es den Generalsekretär und die anderen Leiter von UN-Organisationen in Wissenschaftsfragen beraten. Thematisch soll es sich schwerpunktmäßig mit nachhaltiger Entwicklung beschäftigen und dabei in der Tat den Post-MDG-Prozess unterstützen, dessen Bedeutung Ban in seiner Rede in Berlin unterstrich.

Ob es dem Beirat dabei gelingt, die Rolle von wissenschaftlichen Erkenntnissen in den Entscheidungsfindungsprozessen der Vereinten Nationen zu erhöhen, wie die offizielle Aufgabenbeschreibung formuliert, bleibt noch abzuwarten. Das Gremium trifft sich zweimal im Jahr und bestimmt seine genaue Agenda (neben der Bearbeitung konkreter Aufträge des Generalsekretärs) selbst. In welcher Form es sich dann äußert – Berichte, Stellungnahmen oder Analysen – muss es erst noch entscheiden. Impulse zu aktuellen Entwicklungen sind so nur sehr bedingt möglich, zudem es bislang keine_n Leiter_in oder Untergremien gibt. Immerhin stellt die UNESCO als wichtigste mit Wissenschaft befasste Sonderorganisation dem Beirat ein Sekretariat zur Verfügung.

Der Beirat muss also seine eigene Relevanz noch unter Beweis stellen. Gerade im Bereich Nachhaltigkeit haben die Vereinten Nationen hochrangige und erfolgreiche Wissenschaftsgremien, welche die aktuellen wissenschaftlichen Ergebnisse zum Klimawandel (IPCC) und biologischer Vielfalt (IPBES) zusammenstellen und in die jeweiligen politischen Entscheidungsgremien hineintragen. Nicht zufällig sind die beiden Leiter dieser Gremien auch Mitglieder im SAB. Dazu wird der Prozess der Millenniumsentwicklungsziele von einem weiten Spektrum von regelmäßigen Indikatoren und Berichten begleitet, welches die globale Diskussion um Armutsbekämpfung und Entwicklungszusammenarbeit auf eine neue Ebene gehoben hat.

Diese Tiefe kann und soll der Beirat nicht erreichen. Ihm geht es vielmehr um einen „holistischen“ Ansatz, wie Ban in Berlin unterstrich. Anstatt einen Forschungsstand aufzuarbeiten soll das SAB das „verstreute Wissen“, so UNESCO-Generaldirektorin Bokova, zusammenbringen und in eine politikverständliche Sprache verpacken. Daher sind die im Beirat vertretenen Disziplinen recht vielfältig. Neben Biologen, Chemikern und Physikern finden sich dort auch eine Politikwissenschaftlerin (Maria Ivanoya aus Bulgarien, die in den USA lehrt) und ein Historiker (Sir Hilary Beckles aus Barbados). Für Innovation soll dabei auch Hayat Sindi sorgen, die in Jedda (Saudi-Arabien) ein „Institut für Vorstellungskraft und Einfallsreichtum“ leitet (dahinter verbirgt sich vor allem die Förderung sozialen Unternehmertums). Aus Deutschland sitzt der Mikrobiologe Jörg Hacker im Beirat, Vorsitzender der Leopoldina, der Deutschen Akademie für Naturforscher in Halle.

Wissenschaft ist stets umkämpft

SAB BannerEs klingt in der Tat bestechend. Wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse sollten stets die Grundlage vernünftiger Politik sein. Moderator Ranga Yogeshwar ging noch einen Schritt weiter und fragte, ob nicht die in der Wissenschaft vorherrschende „Kultur der Wahrheit, nach der wir Wissenschaftler alle streben“ auch richtungsweisend für die häufig zerstrittene Politik sein könne.

Eine Wahrheit als Ziel der Wissenschaft oder gar der Politik? Hier taten sich doch Abgründe auf. Wissenschaft lebt von der kontroversen Diskussion. Die meisten Erkenntnisse, sowohl in Natur- als auch in Geistes- und Sozialwissenschaften, sind eben nicht wie das Gesetz der Schwerkraft, das Yogeshwar als Beispiel nannte. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der wissenschaftlichen Gemeinschaft, Forschungsergebnisse zu überprüfen und immer wieder kritisch zu hinterfragen. Nicht zuletzt die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Weltklimarat IPCC hat die Bedeutung und politische Relevanz von Szenarien, die verschiedene mögliche Entwicklungen basierend auf unterschiedlichen Annahmen durchrechnen, gezeigt. Wissenschaft kann (wenn überhaupt) nur Wahrscheinlichkeiten bestimmen.

Selbst etablierte Wissenschaftler machen Fehler, mit teilweise fataler Wirkung. Der IPCC gab eine falsche Prognose für die Gletscherschmelze im Himalaya heraus, die nur auf einem Interview und nicht auf erhobenen Daten basierte. Zwei Harvard-Ökonomen machten Fehler in einer Excel Tabelle und kamen so zu dem Schluss, Länder mit einer hohen Staatsschuldenquote hätten stets ein niedrigeres Wachstum zu erwarten –  in der Finanzkrise müssten Regierungen also möglichst stark auf einen Sparkurs setzen im Vergleich zu schuldenfinanzierten (keynesianischen) Konjunkturpaketen.

Daher ist also Vorsicht geboten vor der Vorstellung, Politik könne nur eine Sachentscheidung auf der Basis wissenschaftlicher Fakten sein. Insbesondere wenn es um politische Handlungsempfehlungen geht, sind stets Wertentscheidungen mit von der Partie. Welche Kosten z.B. bei der Bewältigung des Klimawandels sollen zukünftige Generationen tragen, welche sind kurzfristig vermittelbar? Wie bewerten wir den unsicheren zukünftigen Nutzen aus noch unentdeckten Pflanzenarten in einem Naturschutzgebiet (also den Erhalt biologischer Vielfalt) gegenüber einer Industriepolitik, die mit zur Armutsbekämpfung beitragen kann? Gute (und transparente) Kommunikation, so IPCC-Vorsitzender Pachauri, ist also ganz entscheidend. Dies gilt gerade auch für die auch wissenschaftlichen Empfehlungen zu Grunde liegenden Wertentscheidungen.

Gelegenheit der Vernetzung und Impulssetzung

Auf diese Fragen wies auch die sechsköpfige Gruppe „junger Wissenschaftler“ hin, die zum Abschluss ein eigenes Statement verlasen. Als jemand, der sich für die Vernetzung von Nachwuchswissenschaftler_innen im Bereich Vereinten Nationen einsetzt, freute es mich natürlich ganz besonders, dass junge Wissenschaftler zu Wort kamen (auch wenn nicht klar war, wie diese ausgewählt worden waren). Ganz gleich, welche Entscheidungen ihr trefft und welche Empfehlungen ihr gebt, so die Botschaft, „wir werden die Konsequenzen erben.“

Die privilegierte Position eines Wissenschaftlichen Beirats des UN-Generalsekretärs bringt somit auch eine nicht unerhebliche Verantwortung mit sich. Neben seiner eigentlichen Beratungsfunktion kann der Beirat also möglicherweise auch einige Impulse für die Wissenschaftspolitik setzen. Wissenschaft auf der ganzen Welt inklusiver gestalten und das Gespräch mit der Öffentlichkeit suchen, sei so eine Aufgabe, forderten die jungen Wissenschaftler. Daten und Ergebnisse müssten für alle frei zugänglich sein und Wissen transparent gemacht werden.

Um dies leisten zu können, müsste der Beirat jedoch eine vernehmbare Stimme erhalten. Dazu müsste er auch mit anderen Organen der Vereinten Nationen, insbesondere der Generalversammlung und ihrem Präsidenten, zusammen arbeiten können. Er sollte nicht nur für den Generalsekretär, sondern auch für die Mitgliedstaaten bereit stehen und sich zu spezifischen Fragen im Rahmen des Post-MDG-Prozesses äußern können. Wenn dies gelingt, könnte er durch die Art und Weise seiner „ganzheitlichen“ Beratung einen kritischen, offenen Umgang mit wissenschaftlichen Ergebnissen weltweit einfordern und somit als Multiplikator und Vorbild für die internationale Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Politik dienen.