Walk Out, Stay In, Come back?

COP19: UN-Klimagipfel in Warschau: Ohnmacht und Kampfgeist der Zivilgesellschaft

Gastbeitrag von Sören Köpke, crossposted von klimapolitik.info

Protestierende NGOs auf der COP19 in Warschau, Foto: Pauline Schur

Internationale Klimaschutzverhandlungen sind Teil eines hochkomplexen Politikfeldes. Auch für Studierende der Internationalen Beziehungen bleiben die verschiedenen Verhandlungsstränge und Themenbereiche der UN-Klimakonferenzen abstrakt und undurchschaubar. Um UN-Klimapolitik zu veranschaulichen, führte der Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und vergleichende Regierungslehre der TU Braunschweig im November 2013 in Kooperation mit BUNDjugend Niedersachsen und dem Jugendumweltnetzwerk Niedersachsen (JANUN) eine Exkursion nach Warschau durch. Parallel zur zweiten Verhandlungswoche des Klimagipfels in der polnischen Hauptstadt trafen die beteiligten Studierenden Delegierte, Experten und Vertreterinnen von NGOs, nahmen an Protest- und Informationsveranstaltungen und z.T. sogar am Gipfel selbst teil und verschafften sich so einen Eindruck von dem zähen und oft widersprüchlichen Prozess. Die Erfahrungen wurden auf dem Blog http://www.klimapolitik.info dokumentiert. Es folgt eine Analyse des begleitenden Dozenten Sören Köpke.

Bilder produzieren

Eine riesige Lunge aus Plastik schwebt über den Köpfen der Demonstrierenden: Eines der Bilder, die rund um den UN-Klimagipfel 2013 in Warschau entstanden sind. Am ersten Tag des „World Coal Summit“, der parallel zur zweiten Woche des Klimagipfels stattfindet, protestieren etwa 120 NGO-Aktivisten vor den Türen des polnischen Wirtschaftsministeriums. Das Aktionstheater zeigt – nicht klischeefrei – die Konfliktparteien: Böse Lobbyisten werfen mit dreckigem Geld und Versprechen von „sauberer“ Kohle um sich.  Umweltschützer, Mediziner, Normalbürger solidarisieren sich – am Ende ist die Lunge Symbol für die Befreiung von den Lobbyisten.

Die anwesende Presse honoriert das Spektakel. Diese Bilder sind interessanter als Aufnahmen von übermüdeten Delegierten, die auf dem Gipfel im Nationalstadion  um Formulierungen ringen. NGOs wie Friends of the Earth oder WWF wiederum sehen in der Produktion von kraftvollen Bildern für die Medien ihre hauptsächliche Chance,  die Weltöffentlichkeit auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Eine verhältnismäßig kleine Szene von Aktivisten ist daher in diesen Tagen unermüdlich mit der Planung und  Durchführung von Aktionen beschäftigt. Hier geht es gegen Kohle, ein anderes Mal gegen die Renaissance der Kernenergie, auch Klimamigration und Klimagerechtigkeit sind Themen, die mit oft leicht theatralischen Themen vergegenwärtigt werden. Adressat sind nationale Delegationen, aber vor allem eben: Die Medien. Diese berichten nur konjukturell über Klimapolitik. Darum wird anlässlich von UN-Gipfeln jede Möglichkeit genutzt, Öffentlichkeit herzustellen.

Die NGOs ziehen nicht immer an einem Strang: An diesem Montag steht einige Meter weiter eine Greenpeace-Gruppe mit einem Banner vor dem Ministerium, während die Feuerwehr Kletterer der Organisation vom Dach holt. Die eigene Marke zu platzieren, hat also auch eine gewisse Priorität in der Kommunikationsstrategie.

 Schwache Zivilgesellschaft

Am Samstag, den 16. November 2013 fand in Warschau die zentrale Großdemonstration der Zivilgesellschaft statt. Nur: Von Großdemonstration kann eigentlich nicht die Rede sein. Etwa 3.000 Menschen hatten sich versammelt, um zu verdeutlichen, dass es so nicht weitergeht; dass die bisherigen Ergebnisse aller Klimagipfel niemals reichen werden, die Welt auch nur auf das Minimalziel einer 2°-Erwärmung hinzusteuern.

Wenn man sich die brasilianischen Demonstrationen im Sommer 2013 ansieht oder die deutschen Anti-AKW-Proteste nach der Fukushima-Katastrophe, dann weiß man: 3.000 Teilnehmer machen noch keinen Massenprotest.

Die Schwäche der Demonstration verdeutlicht auch die Schwäche der Umweltbewegung im Gastgeberland Polen; ein Land, dessen Energiepolitiker voll und ganz auf den schmutzigen Kohlestrom setzen. Zwar berichtet Europaparlamentarierin Rebecca Harms (GREENS/EFA) hoffnungsvoll von Graswurzelinitiativen in der polnischen Provinz, die sich gegen gesundheits- und klimaschädliche Kohlemeiler zusammenfinden. Doch wenn man ehrlich ist: Die meisten NGO-Vertreter, die nach Warschau gereist sind, sind keine Polen.

An diese Erkenntnis schließt sich eine Frage an: Wie stark ist die Bewegung für mehr, für gerechteren Klimaschutz? Gibt es diese Bewegung überhaupt? Ein Klimacamp hier, ein Vernetzungstreffen dort – ausreichend, um die Welt aus dem diagnostizierten klimapolitischen Tiefschlaf zu wecken? Emma Bierman, die im Auftrag der US-NGO 350.org in Europa diese Bewegung stärken soll, äußert sich kämpferisch: Es muss noch viel passieren, es bleibt nicht viel Zeit, aber aufgeben gilt nicht. Die Bewegung konzentriert sich auf jene, die sie als schlimmste Verschmutzer ausmacht. Momentan etwa  organisiert 350.org in Kooperation mit der NGO „Urgewald“ eine Kampagne gegen die Investition der KfW in der Kohlebranche.

Wenn es eine Bewegung gibt, so ist sie – jedenfalls 2013 – nicht unwesentlich dominiert von den institutionell etablierten, legalistisch operierenden großen Umwelt-NGOs, allen voran Friends of the Earth. Offene, netzwerkartige und horizontale Organisationsstrukturen existieren hier  in Warschau noch weniger als 2009 in Kopenhagen, als die antiautoritäre linke Szene in Deutschland und Dänemark das Thema „Klimapolitik“ für sich entdeckt hatte.

Genaugenommen gibt es eine Art informeller Arbeitsteilung zwischen den NGOs: Während die Mitglieder der einen eher als Aktivisten auftreten und dem Protest Namen und Gesicht geben, agieren die anderen als Lobbyisten und Berater für ehrgeizige klimapolitische Ziele. Insbesondere in der Gruppe der Inselstaaten, die vom steigenden Meeresspiegel besonders betroffen sind (AOSIS), und in den am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs) haben sie hier dankbare Partner gefunden.

Die entwicklungspolitischen NGOs haben also eine wichtige Funktion als Politikberater für die personell besonders schwach aufgestellten Staaten des Globalen Südens. Kritisch muss man allerdings anmerken: Es sind auch hier meistens Vertreter des Nordens, die diese Lobbyarbeit betreiben. Süd-NGOs sind tendenziell marginalisiert, da sie oft nicht über die Mittel verfügen, Aktivisten nach Europa zu senden.

Der Walkout – Ein starkes Zeichen?

Der UN-Gipfel ist von Konzerninteressen geprägt, Europa gespalten, der angebliche Vorreiter Deutschland, in lähmenden Koalitionsverhandlungen feststeckend, glänzt durch Initiativarmut. Japan, Australien, Kanada torpedieren die Konferenz und nehmen vorherige Versprechungen zurück. Das Thema Klimafinanzen spaltet die Staatengemeinschaft. Frustration macht sich breit bei denen, die trotz aller vorherigen Anzeichen auf Fortschritt gehofft haben.

Mitte der zweiten Woche des Klimagipfels in Polen platzt einigen NGOs der Kragen. Im Hinterzimmer wird verhandelt, wie man jetzt ein machtvolles Zeichen setzen könne, dass man von dem Verhandlungsverlauf bitter enttäuscht ist. Man einigt sich auf einen Akt der Verweigerung: Das demonstrative, gemeinsame Verlassen der Konferenz am 21.November.

Diesmal sind alle großen Organisationen mit im Boot: ActionAid, Friends of the Earth, Greenpeace, WWF, Oxfam. Nicht alle NGOs verlassen den Klimagipfel, wenn auch manche von denen, die bleiben, den Schritt gutheißen, wie etwas Brot für die Welt und Germanwatch.

Am Donnerstag Mittag verlassen also zwei- bis dreihundert NGO-Vertreter gemeinsam das Nationalstadion, die meisten tragen hierbei T-Shirts mit der Aufschrift „volvéremos“ – „Wir kommen wieder“. Auf diese Weise soll gezeigt werden, dass man zwar die Verhandlungsrunde in Warschau für gescheitert erkläre, nicht aber den gesamten UN-Klimaprozess. Die beteiligten NGOs feiern hinterher die Aktion als „nie da gewesenen Akt der Solidarität“. Es sieht so aus, als würde hier eine Niederlage zum Sieg umdefiniert.

Die Aktion bleibt nicht mehr als ein Aufschrei. Vielleicht ist diesmal mehr auch nicht möglich; COP19 stand von Anfang an unter keinem guten Stern.

 Ausblick: Der Weg nach Paris 2015

„Der Warschauer Klimagipfel ist knapp dem Scheitern entgangen.“, so Germanwatch in einer abschließenden Analyse. Als gescheitert betrachtet werden kann der Versuch von Entwicklungs- und Umwelt-NGOs, die Deutungshoheit über das Thema zu gewinnen.

Ein Grund dafür ist die professionalisierte Kommunikationsstrategie der NGOs, die sich auf Medienpräsenz ausrichtet und die Herausbildung einer Aktivistenelite fördert. Weniger Gipfel-PR und mehr Basisarbeit wäre wohl die bessere Strategie, breitere Bevölkerungsteile mit dem Thema Klimawandel zu erreichen.

Die Zivilgesellschaft muss beweisen, dass sie mehr kann, als Bilder für die Abendnachrichten zu produzieren. Die Klimabewegung muss viral werden – zumindest in der westlichen Welt – um Druck auf Politik und Wirtschaft aufzubauen.  Nur dann wird es gelingen, 2015 in Paris ein ambitioniertes Ergebnis zu erringen, das die meisten Staaten mittragen können und das dennoch den dringlichen Anforderungen an internationale Klimaschutzmaßnahmen genügt.

Es ist zwar eine wiederkehrende Phrase der Klimaretter-Rhetorik, aber deswegen nicht weniger wahr: Viel Zeit bleibt nicht mehr.

Sören Köpke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften der TU Braunschweig. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Globale Politische Ökologie