Postkoloniale Perspektiven auf die Vereinten Nationen – verschiedenste Blickwinkel

170312 FoKo Hamburg 040

von Wiebke Staff

Vom 10.-12. März 2017 fand das 7. jährliche Forschungskolloquium der AG Junge UN-Forschung in der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg statt. Rund 25 Teilnehmer*innen diskutierten zehn Papiere, die aus verschiedenen Perspektiven postkolonial auf die Vereinten Nationen schauten.

Postkoloniale Aspekte finden sich im gesamten internationalen Bereich, insbesondere auch im System der Vereinten Nationen an vielen Stellen: Institutionen blicken oft von außen auf ehemalige Kolonien, ohne die betroffenen Staaten und Menschen mit einzubeziehen, die formale Besetzung wesentlicher Gremien, wie des Sicherheitsrates, ist inhärent kolonial geprägt. Dies machte auch der Einführungsvortrag von Prof. Dr. Sigrid Boysen, Inhaberin der Professur für Öffentliches Recht, insbesondere Völker- und Europarecht, an der Helmut-Schmidt-Universität deutlich. Die Idee der souveränen Gleichheit der Staaten bleibt insbesondere im postkolonialen Völkerrecht eine Idee, ein Konzept, dem in der Realität die massive Ungleichheit der Staaten entgegensteht. Während in der Generalversammlung der Vereinten Nationen insofern mit der Maxime „one State, one vote“ noch eine relative Gleichheit herrscht, ändert sich dies bereits deutlich mit Blick auf andere Gremien und erst recht, wenn man den theoretischen Blickwinkel verlässt und auf die tatsächlichen Verhältnisse der Staaten untereinander schaut. Hier zeigt sich deutlich, wie koloniale Strukturen als Postkolonialismus weiterexistieren.

Mit dem Begriff und Ansatz des Postkolonialismus, insbesondere in den Internationalen Beziehungen, beschäftigte sich dann intensiv der Einstiegsvortrag von Jan Wilkens (Universität Hamburg). Er betonte den bifokalen Ansatz, nachdem zuerst eine empirische Analyse stattfindet, aus der heraus dann normative Strategien entwickelt werden. Anhand des Beispiels der westasiatischen und nordafrikanischen Staaten zeigte er auf, wie Kolonialismus und Postkolonialismus auf diese Region eingewirkt haben und noch einwirken und welche eindrücklichen Folgen sich heute zeigen. Daraus entwickelten sich verschiedenste Problemstellungen, von Universalismus als Postkolonialismus über Auswirkungen auf postkoloniale Ansätze bis hin zu der Frage, wie die Vereinten Nationen mit konkreten postkolonialen Situationen umgehen.

Es zeigte sich, dass innerhalb des Systems der Vereinten Nationen nach wie vor sowohl bei der Teilhabe von Staaten als auch bei der Teilhabe von Menschen eine Benachteiligung der ehemaligen Kolonien vorliegt, die – in bewusster oder unbewusster Weise – aufrechterhalten wird. In bestimmten Zusammenhängen treten die Vereinten Nationen auch selbst als (post-)kolonialer Akteur auf oder werden zumindest als solcher wahrgenommen. Auch die aktive Teilnahme von Staaten oder internationalen Organisationen des globalen Südens an der Arbeit der Vereinten Nationen stellt sich teilweise als (post-)koloniales Verhältnis dar. Deutlich wurde dies auch an verschiedenen Einzelthemen wie dem menschenrechtlichen Relativismus oder dem Prinzip der dauerhaften Souveränität über natürliche Ressourcen.

In den, wie schon in den letzten Jahren nicht von den Autor*innen sondern von Discussants vorgestellten, einzelnen Papieren und noch stärker in der Diskussion zeichneten sich die unterschiedlichsten Perspektiven auf Postkolonialismus und die Vereinten Nationen ab. Hier kam dem Forschungskolloquium auch seine Interdisziplinarität zu Gute: Während der Großteil der Teilnehmer*innen, wie üblich, aus den Bereichen Politik- und Rechtswissenschaft stammte, war in diesem Jahr zum ersten Mal die Anthropologie vertreten und in verstärktem Maße auch die Soziologie. Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Disziplinen barg zwar immer wieder auch Schwierigkeiten in der Kommunikation, eröffnete aber den Teilnehmer*innen viele neue Perspektiven.

Auch das Rahmenprogramm leistete in diesem Jahr einen wichtigen Beitrag zu inhaltlichen Diskussionen: Ein Stadtrundgang unter dem Thema „Die Hafencity zwischen kosmopolitischem Flair und kolonialen Echos“ zeigte nicht nur den neusten Hamburger Stadtteil mitten in der Stadt sondern zeigte kritisch die Hamburger koloniale Geschichte und auch den heutigen Umgang mit dieser Geschichte auf. Wir danken der Helmut-Schmidt-Universität herzlich für ihre Gastfreundlichkeit und freuen uns schon auf das 8. Forschungskolloquium im nächsten Jahr.